Gedanken zu Geierswalde

Unser Projekt, bei dem in Erzählsalons gemeinschaftlich die Geschichte eines Dorfes zusammengetragen werden kann, ist von den beiden Geierswalder Ortsvorstehern begeistert aufgenommen wurden. Denn der Erzählsalon ist genau das, was nachholen könnte, was in den Jahren der schnellen Entwicklung in Geierswald versäumt wurde: die Einwohner mitzunehmen.

Geierswalde hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der Tagebau, in dem viele Geierswalder gearbeitet haben, ist dem See gewichen. Dieser Wandel hat große Auswirkungen auf den Ort und seine Bewohner. Vom Bergbau in den Tourismus – diesen Sprung konnte und kann nicht jeder nehmen. Sicher haben ihn einige erfolgreich absolviert. Manch einer hat es versucht und ist abgestürzt, manch einer ist ängstlich und hat es gar nicht versucht, manch einer glaubt, er habe keine Chance.

Es gibt Enttäuschungen, dass die Touristen im Sommer den Ort überrollen und keine Rücksicht auf die Bewohner nehmen und es gibt Frust. Hinter all den Emotionen stecken konkrete Erlebnisse und Erfahrungen. Sie zu erzählen, sie den Anderen im Dorf mitzuteilen, dazu bietet der Erzählsalon eine großartige Möglichkeit.

Im Erzählsalon sitzen alle Teilnehmer gemeinsam an einem Tisch auf Augenhöhe, keiner sitzt erhöht auf einem Podium. Jeder Teilnehmer, der dies wünscht, erhält Redezeit. Jeder Teilnehmer darf die Geschichten, die im Dorf passiert sind, aus seiner Sicht erzählen. Keiner wird unterbrochen oder kommentiert. Wenn ein Teilnehmer erzählt, hören alle anderen zu. So kann man sich Luft machen, so erfährt man unter Umständen aber auch Neues voneinander, selbst wenn man sich schon seit Kindesbeinen kennt. Wer seine Geschichte erzählt, wird besser verstanden. Das ist eine Chance, die Gemeinschaftsentwicklung im Dorf  anzuregen.

Im ersten Salon erzählten sieben Menschen, wie sie nach Geierswalde kamen. Alteingesessene wie Manfred Liehn, 1950 geboren, zogen den großen Bogen vom Wandel des Dorfes.
Christian Benusch, der junge Ingenieur, Jg. 1990, erzählte, warum er nicht wie viele andere aus seiner Generation Geierswalde verlässt und was er tut, um bleiben zu können.
Beeindruckende Geschichten, die nur in dem geschützten Raum des Erzählsalons entstehen. Sie werden alle auf Tonband mitgeschnitten und transkribiert. Anschließend werden die eindrücklichsten Geschichten von den Autobiografikern – den Autoren von Rohnstock Biografien, die darauf spezialisiert sind, mündliche Erzählungen zu verchristlichen – aufgeschrieben und durch die Erzähler korrigiert und freigegeben.

In den beiden nächsten Erzählsalons  wurde der Tagebau zum Thema gemacht: „Geierswalde vor und nach dem Tagebau“. Hier waren die alteingesessenen Geierswalder angesprochen. Herr Radochla, der ehemalige Ortsvorsteher, und seine Frau erzählten ausgesprochen kenntnisreich, wie der Tagebau den Ort und das Leben der Menschen veränderte.
Doch wo blieben die anderen Geierswalder? Warum kamen sie nicht zum Erzählen? Vielleicht fühlten sie sich nicht angesprochen? Vielleicht war der Einladungstext zu abgehoben oder gar falsch formuliert?

Das ist heutzutage ein generelles Problem: Wie erreicht man die Menschen? Zu oft werden sie enttäuscht. Zu oft haben sie erfahren, dass sich keiner für ihre Belange, für ihre Geschichte interessiert. Doch genau dem will unser von der Bundesbeauftragten für die Ostdeutschen Länder finanzierte Projekt eine neue Erfahrung entgegensetzen, die dem zivilgesellschaftlichen Anspruch, dass alle an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben können und sollen, gerecht wird: So beriet das Projektteam mit Roland Sängerlaub, dem heutigen Ortsvorsteher – der wie sein Vorgänger Karl-Heinz Radochla ein konstruktiver Denker ist – wie die Geierswalder besser erreichbar sein könnten.

Er schlug vor, die Einwohner aufzurufen: „Lasst uns unsere Geschichte erzählen“.