Erinnerung an Plessa

Die Geschichte von Helmut Gärtner

In Großenhain saß ich mit meiner Frau beim Arzt, als jemand die Praxis betrat, auf uns zu kam und uns begrüßte: „Guten Tag Herr Gärtner, guten Tag Frau Gärtner.“ Verwundert erwiderte ich: „Wer bist denn du, kenne ich dich?“ „Na freilich. Ich bin’s, der Bernd, Bernd Fuhrmann.“ Erst jetzt erkannte ich meinen alten Arbeitskollegen aus Plessa und begriff zum ersten Mal so richtig, dass ich seit 23 Jahren nicht mehr im Kraftwerk gewesen war. Seither hatte ich keinen meiner Kollegen wiedergesehen.

Als das Kraftwerk 1992 stillgelegt wurde, verließ ich Plessa und zog in meinen Heimatort Fichtenberg zurück. Damit ging die Verbindung zu meiner alten Arbeitsstätte gänzlich verloren. Dennoch sind mir das Kraftwerk und die Arbeiter in sehr guter Erinnerung geblieben.

Im Kesselhaus und im Maschinenraum war es immer sehr heiß und die Arbeit ungemein anstrengend. Daran hatte sich seit der Errichtung des Kraftwerks 1926 nichts geändert. In den Sechziger- und Siebzigerjahren fehlte es – wie überall – auch im Kraftwerk Plessa an Arbeitskräften. Wir mussten uns etwas einfallen lassen, damit die Leute nicht davonliefen, weil anderswo ein schönerer Arbeitsplatz lockte. Deshalb wollten wir sowohl im Kesselhaus als auch im Maschinenraum für eine vernünftige Belüftung sorgen. Es gab allerdings keine externen Firmen, denen wir den Auftrag dafür hätten geben können. Zu dieser Zeit war da keiner, dem wir sagen konnten: „Mach das mal für uns!“ Es blieb uns nur, selbst anzupacken. Wir zogen alle an einem Strang. Gemeinsam bauten die Maschinisten und Heizer klimatisierte Stände auf, von denen aus sie fortan arbeiten konnten. Das erleichterte die Arbeit ungemein ‒ ein schöner Fortschritt, auf den wir stolz waren. Sogar noch heute steht eine unserer Hütten auf dem Maschinendepot.

1981 wurde das Kraftwerk Plessa dem Gaskombinat Schwarze Pumpe angegliedert. Für uns Kraftwerker bedeutete dies, dass wir zu Bergleuten wurden – obwohl wir doch eigentlich nur das Ergebnis des Bergbaus, die Braunkohle, in unseren Kesseln verfeuerten. Heute weiß ich das zu schätzen, denn es wirkt sich sehr positiv auf meine Rente aus.

Die Wende 1990 brachte dann die Stilllegung des Kraftwerks Plessa. Viele große Betriebe machten dicht, ganze Industriezweige verringerten ihre Produktion. Es wurde weniger Strom gebraucht und so entschied man, einige Kraftwerke abzuschalten. Plessa gehörte dazu. Als uns verkündet wurde: „Das Kraftwerk Plessa wird stillgelegt!“, musste ich lange schlucken. Tatenlos wollte ich die Nachricht jedoch nicht hinnehmen. „Können wir nicht ein Gutachten beauftragen, um zu sehen, ob die Schließung wirklich notwendig ist? Ich kann nicht glauben, dass das Kraftwerk wirklich nicht mehr gebraucht wird!“ Die Antwort auf meinen Vorschlag war enttäuschend: „Ja, sicher. Ein Gutachten kann erstellt werden. Aber die Kosten dafür müssen Sie selbst tragen!“ Damit war die Sache erledigt. Ich hätte niemals das nötige Geld dafür zusammenbekommen.

Nach der Entscheidung „Stilllegung“ legte die Energiewerke Schwarze Pumpe AG fest, wie die Arbeiter von Plessa aus dem Kraftwerk ausscheiden sollten. Zuerst wurden alle, die älter als 55 Jahre waren, mit einer Teilentlohnung gekündigt. Diese Leute gingen mit 60 Jahren in Rente. Einige Kollegen konnten nach Lauta wechseln, der Rest musste sich eine andere Arbeit suchen. Als 57-Jähriger sollte ich einer der ersten sein, die gekündigt wurden. Einige Gewerkschaftsmitglieder protestierten allerdings für mich, weshalb ich noch ein paar Monate länger im Kraftwerk blieb. Die Arbeit, die wir erledigten, diente nur noch der Stilllegung. Am Ende sollte ich die Sicherheitsventile und die Maschinen abschalten, doch ich brachte es nicht fertig. Dies war der traurigste Moment in meinem Arbeitsleben. Aber davon will ich gern in einem der nächsten Erzählsalons berichten.