Mit dem Traditionsverein auf der Suche nach Nachwuchs

Der Lauchhammer Erzählsalon im Jugendbegegnungszentrum Arche

Vierter Erzählason Lauchhammer in der Arche
Foto: Rico Hofmann

Mit dem vierten Erzählsalon innerhalb des Projektes „Lauchhammer an einen Tisch“ am 23.11. 2015 gelang in der Arche eine kleine Sensation: Vier Generationen kamen an einen Tisch und erzählten ihre Geschichte. Der jüngste Erzähler war 12 Jahre alt, die Älteste 83 Jahre. Das Thema „Mein schönstes Kindheitserlebnis in Lauchhammer“ führte sie zusammen – im großen Spielzimmer der Arche.

Der Traditionsverein sucht, wie viele andere Vereine in der Lausitz, händeringend Nachwuchs, um das Wissen und die Erfahrungen der großen Bergbautradition wenigstens in den Köpfen und Herzen der Nachkommen wachzuhalten. Alle Versuche, junge Leute zu gewinnen, blieben erfolglos.

Wo findet man in Lauchhammer Jugendliche? Bei Buntrock e.V. Dort fand der dritte Erzählsalon statt. Sieben aufgeweckte Jungs, die die Enkel der Mitglieder des Traditonsvereins sein könnten, haben die Nachwendezeit aus ihrem Erleben erzählt. In den Neunzigerjahren ging es heiß her unter den Jugendlichen. Da bekam man schnell mal eins auf die Nase, wenn man intellektuell oder links anmutete. Die Jugendlichen  haben ausagiert, was ihre arbeitslos gewordenen Eltern an Scham und Demütigung empfanden, weil ihre Lebensleistung durch die Wende entwertet wurde.

Nun, beim vierten Erzählsalon, wollten wir die Kinder aus der Arche in Lauchhammer kennenlernen. Frau Gruhn, die Leiterin, war mit unserem Besuch einverstanden. Sie empfing das Projektteam und die vier Vertreter des Taditionsvereines  gastfreundlich mit Kuchen- und Obsttellern.

Vierter Erzählason Lauchhammer im Jugendbegegnungszentrum Arche
Foto: Rico Hofmann

Eine Frau im Urgroßmutter-Alter erzählte, wie sie als Kind das Stollenbacken genossen hatte. Die zu Hause gekneteten Stollen wurden von den Kindern zum Bäcker gebracht.  Dort hieß es warten, bis der Stollen fertig gebacken hatte. Die Kinder verkrochen sich auf dem gemütlichen Backofen – und kamen in den Genuss, manche Dorfgeschichte zu erlauschen. Wenn der Stollen aus dem Ofen kam, duftete es im Raum, so dass den Kindern das Wasser im Munde zusammenlief – doch noch durfte kein Stollen probiert werden – es sei denn, es fiel einer nach unten und zerbrach. Manchmal war der Appetit so groß, dass nachgeholfen wurde…

Etwas Vergleichbares gibt es im Leben der Kinder nicht. Doch schon beim Thema Schulweg war festzustellen: die Strukturen des Alltags sind ähnlicher als erwartet: Wie früher treffen sich die Schulkameraden, um gemeinsam zur Schule zu gehen, und bummeln auch gemeinsam nach Haus. „Das gibt es doch heute gar nicht mehr“, war die Vermutung der Alten – doch das stimmt nur bedingt.

Die Alten erzählten von der schweren Zeit nach dem Krieg und die Kinder hörten interessiert zu. Aber Kinderstreiche – das interessiere sie besonders. Dieses Bedürfnis ist wohl zeitlos. Und die Alten gaben bereitwillig Auskunft, wie die Lehrer übers Ohr gehauen wurden.
Hunger leidet heute kein Kind mehr – doch die Verhältnisse sind kompliziert, wenn die Mutter überlastet ist, weil sie mit der kleinen Schwester zum Arzt muss – und heimwärts nach 18 Uhr kein Bus fährt. Dann läuft die Mutter die vier Kilometer und schiebt den Wagen vor sich her.

Vierter Erzählason Lauchhammer im Jugendbegegnungszentrum Arche
Foto: Rico Hofmann

Mit Stolz erzählten die Kinder, wie sie sich die Welt aneignen: einmal ein Ausflug mit dem Auto nach Köln zum Fußball – das war ein großes Erlebnis für die Arche-Praktikantin. Die Sommerferien drei Wochen in der Schweiz bei Pflegeeltern, an dieses schöne Erlebnis erinnert sich ein anderes Kind. In diesem Jahr wird es allerdings nichts, weil die Pflegemutter Krebs bekam.
Ein junger Mann aus den geschützten Werkstätten hat in der Arche ein Zuhause gefunden. Er erinnert sich nur an gruselige Kindheitserlebnisse. Die Mutter hat den Sohn belogen. Womit und warum – das lässt er an diesem ersten gemeinsamen Nachmittag noch offen. So vertraut ist ihm die Runde noch nicht. Oder er muss erst die richtigen Worte finden. Vielleicht hat ihm noch keiner die Gelegenheit dazu gegeben. Vielleicht gab es noch nie einen Raum, diese schweren Dinge in Worte zu fassen. Denn bevor man sie aussprechen kann, muss man die Worte parat haben. Während der junge Mann erzählt, flüchtet der alte Mann auf die Toilette – die Geschichte hat ihn berührt. Es ist, als hätte er Tränen in den Augen.

Die Arche feiert in zwei Jahren ihr 25-jähriges Bestehen. Wem konnte die Arche so ins Leben helfen, dass er eine Lehre und eine Arbeit fand? Frau Gruhn will nachdenken.
Die Arche und der Traditionsverein arbeiten seit vielen Jahren zusammen – doch nie saßen die Alten und die Jungen gemeinsam an einem Tisch – noch nie haben sie ihre Erlebnisse ausgetauscht.  Das waren kostbare Stunden, in denen vier Generationen einander zuhörten.

Das Thema soll vertieft werden – und eine gemeinsame Exkursion zu den Biotürmen ist angedacht. Das haben die ergrauten Ingenieure wohl nicht erwartet: Aufgeweckte junge Leute, die genauso gern erzählen wie die Alten – und genauso viel zu erzählen haben. Vielleicht sind für diesen Austausch individuelle Patenschaften das richtige?
So wie wir es in Plessa gelernt haben – als zu DDR-Zeiten die Vietnamesen in die Brikettfabrik kamen. Da haben sich eingesessene Plessaer Familien jeweils eines Vietnamesen angenommen: haben ihm ihre Kultur gezeigt und die Umgebung und den Ort – und gemeinsam gekocht.
Warum sollte es nicht Wahl-Opa und Wahl-Enkel geben?

8 Gedanken zu „Mit dem Traditionsverein auf der Suche nach Nachwuchs

  1. Ich fand es sehr amüsierend, interessant und schön zu hören, was manch einer zu erzählen hat. Gerade von früher die Geschichten fand ich interessant.

  2. “Gemischte Runde“ – klein und groß – alt und jung – jeder kam zu Wort. Disziplinierte Zuhörer. Vielfältige Themen.

  3. Ich fand den heutigen Erzählsalon sehr interessant, schöne Geschichten aus der Kindheit der Älteren und die Erlebnisse der jungen Leute und Kinder von heute.

  4. Es war eine sehr interessante Runde, gab viele auch lustige Begebenheiten zu hören. Und für mich war es auch eine Reise in die Vergangenheit.

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