Was ich mit dem Kraftwerk erlebte

1. Preis im Wettbewerb „Die besten Lausitz-Geschichten“ (Kollektivgeschichte)

Helmut Gärtner: In Großenhain saß ich mit meiner Frau beim Arzt, als jemand die Praxis betrat, auf uns zukam und uns begrüßte: »Guten Tag Herr Gärtner, guten Tag Frau Gärtner.« Verwundert erwiderte ich: »Wer bist denn du, kenne ich dich?« »Na freilich. Ich bin’s, der Bernd, Bernd Fuhrmann.« Erst da erkannte ich meinen alten Arbeitskollegen und begriff zum ersten Mal so richtig, wie lange ich nicht mehr im Kraftwerk gewesen war. Seit 23 Jahren hatte ich keinen meiner Kollegen wiedergesehen. Nach der Stilllegung des Kraftwerks 1992 verließ ich Plessa und zog in meinen Heimatort Fichtenberg zurück. Damit ging die Verbindung zu meiner alten Arbeitsstätte gänzlich verloren. Dennoch sind mir das Kraftwerk und die Arbeiter in guter Erinnerung geblieben.

Im Kesselhaus und im Maschinenraum war es immer sehr heiß und die Arbeit ungemein anstrengend. Daran hatte sich seit der Errichtung des Kraftwerks 1926 nichts geändert. In den Sechziger- und Siebzigerjahren fehlte es im Kraftwerk Plessa – wie überall – an Arbeitskräften. Wir mussten uns etwas einfallen lassen, damit die Leute nicht davonliefen, weil anderswo ein schönerer Arbeitsplatz lockte. Deshalb wollten wir sowohl im Kesselhaus als auch im Maschinenraum für eine vernünftige Belüftung sorgen. Es gab allerdings keine externen Firmen, denen wir den Auftrag dafür hätten geben können. Zu dieser Zeit war da keiner, dem wir sagen konnten:»Mach das mal für uns!«Es blieb uns nur, selbst anzupacken. Wir zogen alle an einem Strang. Gemeinsam bauten die Maschinisten und Heizer klimatisierte Stände auf, von denen aus sie fortan arbeiten konnten. Das erleichterte die Arbeit ungemein – ein schöner Fortschritt, auf den wir stolz waren. Noch heute steht eine unserer Hütten auf dem Maschinendepot.

Harald Wintmölle: Ich arbeitete im Kesselhaus. Die Bedingungen waren hart, besonders im Winter. Bis endlich die Initiative ergriffen wurde und es hieß: Wir bauen klimatisierte Kabinen! Danach war die Arbeit im Kesselhaus ganz wunderbar.

Vera Homann: Ich arbeitete im Aschekeller, später wechselte ich in die Bekohlung. Pro Schicht fuhren zwei bis drei Kohlezüge ins Kraftwerk ein. Die Ladung wurde auf der Außenanlage abgekippt. Im Sommer war das kein Problem. Im Winter gelangte manchmal neben der Kohle auch Schnee in die Waggons. Einerseits taute dieser im Waggon, denn die Züge wurden geheizt. Andererseits fror die Kohle durch den kühlenden Fahrtwind wieder an. Jeder, der zur Verfügung stand, musste dann helfen, die Ladung aus dem Waggon zu schlagen.

Die Kohle fiel auf ein großes Förderband und wurde über die neue Bandanlage hoch zu den Kesseln transportiert. Jeder Kessel hatte einen großen Trichter, durch den mehrere Tonnen Kohle passten. Hier stand ich und fuhr die Kohleschieber in die Trichter hinein – einen Schieber nach dem anderen, bis sich der Kessel füllte. Das war keine leichte Arbeit!

Harald Wintmölle: In der gesamten Bekohlungsanlage wurde Knüppelarbeit geleistet. Mit ihren Händen mussten die Frauen die Kohle, die vom Band fiel, wieder hochwerfen. Erst später wurde eine neue Bandanlage gebaut, mit allem Drum und Dran. Das erleichterte die Arbeit enorm.

Vera Homann: War die Kohle verbrannt und der Kessel mit Asche und Schlacke gefüllt, wurde eine Klappe geöffnet und alles el durch einen weiteren Trichter nach unten in den Aschekeller. Die heiße Schlacke wurde mit Wasser abgelöscht und über ein Förderband auf die Waggons geladen. Im Sommer war es dort unerträglich heiß.

Ein Kollege schaffte das Ganze mit seiner Lok zurück in den Tagebau.

Helmut Mai: Ich ging gern zur Arbeit ins Kraftwerk. Hier erlebte ich schöne Zeiten – aber auch schlechte. Gerade im Winter. Solange es möglich war, fuhren wir störungsfrei. Größere Reparaturen fielen auch immer mal wieder an. Das passierte hauptsächlich zum Wochenende, wenn alle Kollegen nach Hause wollten. Eine größere Havarie, bei der Menschen zu Schaden gekommen wären, gab es bei uns jedoch nie.

Karl-Heinz Hofmann: Ich arbeitete über 25 Jahre lang im Kraftwerk Plessa. Zuletzt leitete ich die Kesselbrigaden als Brigadier. Etwa fünfzehn Kollegen gehörten unserer Brigade an. Wir führten Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen an der Bekohlungsanlage, den Kessel- und Entaschungsanlagen durch. Wir mussten viel reparieren. Fast an jedem Wochenende hielten wir die Anlagen an und führten während dieses Teilstillstands die nötigen Reparaturen durch.

Inge Schemmel: Ich arbeitete im Lager und gab das Material an alle Abteilungen aus. Wenn Schlosser, Elektriker oder andere Material anforderten, kamen sie in meine Abteilung und holten sich das Nötige ab. Draußen an den Kühltürmen befand sich das Eisenlager. Da mussten wir hin und her laufen. Wann immer etwas fehlte, holte unser Kraftfahrer das Material ran. Dazu fuhr er durch die gesamte DDR.

Reiner Kühnel: Wenn wir hörten, dass es irgendwo etwas gab – in Eisenhüttenstadt zum Beispiel oder in Berlin – dann setzten wir uns in unseren LKW und fuhren hin. Manchmal packten wir einen Kasten Bier ein, als Tauschobjekt für das benötigte Material.

Achim Siegemund: Ich war in der Schlosserei tätig und für die Instandhaltung der Sanitäranlagen zuständig. Gelernt hatte ich Klempner und Installateur.

1980 kam ich nach Plessa. Wegen der Materialknappheit mussten wir oft genug aus Nichts etwas machen. So baute ich aus Messing- und Kupferblech Duschköpfe. Die wurden mit einem angerillten Halbzollgewinde zusammengelötet und eingebaut, damit die Duschen genutzt werden konnten. Mit Kupferrohr legte ich zudem die Verbindung zu den Spülkästen. Leider hielten sie oft nicht lange, da das Wasser für das empfindliche Material zu aggressiv war. Kunststoffrohre hatten wir nicht, Blei durfte nicht verwendet werden – es war wirklich schwierig.

Joachim Jähnig: Ich gehörte der Reparaturabteilung an, der Bauabteilung. Die Arbeit war schwer, besonders wenn ich an die Kessel denke. Die gingen nach einer gewissen Anzahl von Betriebsstunden kaputt.Dann mussten wir alles abreißen, ganz umständlich und in Handarbeit. Mit Holzstangen bauten wir Gerüste und kletterten schließlich selbst in die Kessel. Wir Menschen sowie das gesamte Material mussten durch die kleinen Einstiegsluken hineingebracht werden. Ich erinnere mich noch genau an die Hitze und an den Dreck. Die Kessel wurden noch kurz vor unseren Einsätzen benutzt, dann abgeschaltet, die Schlacke wurde ausgestoßen und nach kurzer Abkühlzeit kamen wir schon dran. In der ersten Zeit hatten die Heizer Schuhe mit Holzsohlen, damit sie sich nicht die Füße verbrannten – so heiß waren die Kessel noch. Es war eine sehr schwere Arbeit. Als angenehm empfand ich die regelmäßige Arbeitszeit – wir begannen um sechs Uhr früh und gingen nachmittags um zwei in den wohlverdienten Feierabend.

Aber die Arbeit war umständlich, es war eben alles alt. Besonders eine Episode ist mir in Erinnerung geblieben: Wir mussten die gesamte vordere Fensterfront des Verwaltungsgebäudes – die heute saniert ist und in neuem Glanz erstrahlt – einglasen. Dazu stellten wir die große Feuerwehrleiter an, eine einfache Anlegeleiter, und dann hieß es: hochkriechen, die Scheiben in einer Kiste mit hoch schleppen, den Fensterkitt verteilen und die Scheibe einsetzen – das war unwahrscheinlich anstrengend. Wenn ich unsere Arbeit mit den heutigen Möglichkeiten vergleiche, wird mir immer wieder klar, unter welch schweren Bedingungen wir arbeiteten.

Doris Strauß: 1975 fing ich als Chemielaborantin im Kraftwerk an. Gemeinsam mit meinem Chef sammelte ich die Proben vom Kessel- und Maschinenhaus ein und brachte sie in unser Labor, das sich im ersten Stock des Kraftwerkgebäudes befand. Dort testeten wir sie auf giftige Rückstände.

Zu meinen sonstigen Aufgaben gehörte es, das Meisterzimmer zu putzen. Das machte mir nichts aus, obwohl es nicht das war, was ich in meiner Ausbildung gelernt hatte. Zum Kraftwerk gehörte ein Kegelclub. Hier kegelten wir allerdings nicht nur, sondern saßen abends lange beisammen. Bei dem einen oder anderen Glas Schnaps tauschten wir uns über die Arbeit und Privates aus. Auch das Feiern kam bei uns nicht zu kurz.

Die Gewerkschaft, in die ich eintrat, kurz nachdem ich zum Kraftwerk gekommen war, richtete in jedem Jahr zum 8. März die Frauentagsfeier aus. Dafür fand sich immer Geld. Die Feier fand entweder im Kulturhaus oder im Kampfgruppengebäude des Kraftwerks statt. Zum Kulturhaus fuhren wir gemeinsam mit dem Bus. Allein die Fahrt wurde zum Erlebnis.

Helmut Gärtner: 1981 wurde das Kraftwerk Plessa dem Gaskombinat Schwarze Pumpe angegliedert. Für uns Kraftwerker bedeutete dies, dass wir zu Bergleuten wurden – obwohl wir doch eigentlich nur das Ergebnis des Bergbaus, die Braunkohle, in unseren Kesseln verfeuerten. Heute weiß ich das zu schätzen, denn es wirkt sich sehr positiv auf meine Rente aus.

Die Wende 1989/90 brachte die Stilllegung des Kraftwerks Plessa.

Viele große Betriebe machten dicht, ganze Industriezweige verringerten ihre Produktion. Es wurde weniger Strom gebraucht und so entschied man, einige Kraftwerke abzuschalten. Plessa gehörte dazu. Als uns verkündet wurde: »Das Kraftwerk Plessa wird stillgelegt!«, musste ich lange schlucken. Tatenlos wollte ich die Nachricht jedoch nicht hinnehmen. »Können wir nicht ein Gutachten beauftragen, um zu sehen, ob die Schließung wirklich notwendig ist?«, schlug ich vor und ergänzte: »Ich kann nicht glauben, dass das Kraftwerk wirklich nicht mehr gebraucht wird!« Die Antwort auf meinen Vorschlag war enttäuschend: »Ja, sicher. Ein Gutachten kann erstellt werden. Aber die Kosten dafür tragen Sie selbst!« Damit war die Sache erledigt. Ich hätte niemals das nötige Geld zusammenbekommen.

Nach der Entscheidung »Stilllegung« legte die Energiewerke Schwarze Pumpe AG fest, wie die Arbeiter von Plessa aus dem Kraftwerk ausscheiden sollten. Zuerst wurden alle, die älter als 55 Jahre waren, mit einer Teilentlohnung gekündigt. Diese Leute gingen mit 60 Jahren in Rente. Einige Kollegen konnten nach Lauta wechseln, der Rest musste sich eine andere Arbeit suchen.

Als 57-Jähriger sollte ich einer der ersten sein, die ihr Kündigungsschreiben erhielten. Einige Gewerkschaftsmitglieder protestierten für mich, weshalb ich ein paar Monate länger im Kraftwerk blieb. Die Arbeit, die wir erledigten, diente nur noch der Stilllegung. Am Ende sollte ich die Sicherheitsventile und Maschinen abschalten, doch ich brachte es nicht fertig. Dies war der traurigste Moment in meinem Arbeitsleben.

Mathias Georg: Ich hielt die letzten Stunden dieses Betriebs auf Video fest. Der Film zeigt, wie Lothar Roesler den Knopf betätigt, mit dem die Sicherheitsventile geschlossen wurden. Herr Gärtner hatte es nicht fertiggebracht. Mit diesem Knopfdruck waren unsere Arbeitsplätze unwiederbringlich verloren.

Noch 1990 lief der Betrieb wie eh und je. Keiner sollte merken, dass das Ende nahte. In den letzten Monaten konnte allerdings jeder sehen, dass es nicht weiter gehen würde.

Helmut Mai: Ich arbeitete 32 Jahre lang im Schichtdienst im Kraftwerk – fast mein ganzes Arbeitsleben verbrachte ich hier. Mit der Wende hieß es plötzlich: Das Kraftwerk wird stillgelegt. Für mich war das unbegreiflich, unvorstellbar. Ich wusste: Nun verlierst du deine Arbeit. Und so kam es.

Achim Siegemund: Ende 1991 erhielt ich die Kündigung. Ich verließ das Kraftwerk jedoch, ehe der Kündigungstermin ran war. In Eigeninitiative hatte ich mir selbst eine neue Arbeit gesucht. Allerdings büßte ich dadurch die Hälfte der mir zustehenden Abfindung ein. Ich dachte, ich suche mir lieber selber etwas Neues, ehe ich ohne Arbeit auf der Straße stehe. Das war schon richtig so.

Karl-Heinz Hofmann: Nach der Stilllegung des Kraftwerks kam ich in eine ABM-Maßnahme: Kraftwerkabriss in Lauta und danach in Schwarze Pumpe.

Helmut Mai: Als einer der letzten verließ ich das Kraftwerk. Es sollten Gasturbinen eingebaut werden – auf diese Hoffnung stützten wir uns. Aus der Idee wurde nichts.

Schließlich erhielt ich eine ABM-Stelle und war so am Rückbau des Kraftwerks beteiligt. Das waren schlechte Zeiten. Jeder machte sich Gedanken, wie es für ihn weitergehen sollte. Ich hatte das Rentenalter noch nicht erreicht. Aber die Herausforderung habe ich gemeistert und die übrigen Jahre bis zur Rente hinter mich gebracht.

Harald Wintmölle: Ich blieb bis zum Schluss im Kraftwerk, erlebte die Episode mit der Hanseatischen Gesellschaft, in die viel Hoffnung gesetzt worden war, um das Kraftwerk zu retten. Nur noch eine Handvoll Arbeiter verblieb im Werk: Einige hielten das Wasserwerk am Laufen, da noch Wasser gebraucht wurde. Für uns andere hieß es: Abreißen! Ich baute zwei Maschinen mit ab. Den gesamten Maschinensaal, das Kesselhaus, die Bandanlage, alles, was draußen mit der Bekohlung zu tun hatte: Wir kappten die Kabel, rollten sie zusammen, bauten ab, was uns für Jahrzehnte Arbeit gegeben hatte. Das war einer der größten Fehler, die wir machten. Wir hätten das Kraftwerk erhalten müssen – das wäre das einzig Richtige gewesen. Alle Eisentüren verschweißen, alle anderen zumauern, zwei ABM-Stellen schaffen, die alles bewachen und aufpassen, damit das Kraftwerk in seiner Substanz erhalten bleibt. Heute weiß keiner mehr, was eine Dampfpumpe ist – es ist nichts mehr da. Alles haben wir rausgerissen. Die Schrottsammler freuten sich natürlich und machten ihren Reibach: die Maschinen, die Pumpen, alles konnten sie brauchen. Das hätten wir nicht zulassen dürfen! Wir hätten es für die Nachwelt erhalten müssen.

Gottfried Heinicke: Im Kraftwerk Plessa kenne ich mich recht gut aus, auch wenn ich nur zwei Jahre lang als Angestellter einer Fremdfirma hier arbeitete. Denn unsere Elektroinstallationsfirma war in fast allen Abteilungen unterwegs. Insbesondere verantworteten wir die Installationsarbeiten am neuen Brecherhaus. Dieses Gebäude, in dem die Rohbraunkohle für die Verstromung zerkleinert wurde, existiert heute leider nicht mehr. Es el nach der Wende dem Abriss zum Opfer.

Mit den ersten freien Wahlen 1990 wurde ich Gemeindevertreter und bekam immer wieder mit dem Kraftwerk zu tun. Oft stand es im Mittelpunkt unserer Sitzungen. Wir wollten das Kraftwerk als Industriestandort erhalten, machten dabei aber nicht immer alles richtig. So gingen wir der Hanseatischen Aktiengesellschaft auf den Leim. Als Gemeindevertreter teilten wir die Meinung, dass das Wichtigste und Nötigste für Plessa die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen war. Dieser Leitsatz ist bis heute geblieben. Denn ohne Arbeit für die Menschen geht eine Gemeinde zugrunde. Wir hofften dies durch die Zusammenarbeit mit der Aktiengesellschaft zu erreichen und wurden enttäuscht. Durch den Vertrag verschuldete sich die Gemeinde mit etwa zwei Millionen Mark. Den Kredit zahlen wir bis heute ab, was den Gemeindehaushalt stark belastet.

Manfred Drews: Als ich im Januar 1993 als Amtsdirektor in Plessa anfing, übernahmen wir zwei Altlasten: das Kraftwerk und das Kulturhaus.

Für das Kraftwerk gab es vielversprechende Pläne. Die Gemeinde wollte es gemeinsam mit der Hanseatischen AG als Gaskraftwerk umrüsten, um an diesem traditionsreichen Standort weiterhin Strom produzieren zu können. Allerdings zerschlug sich die Idee sehr schnell. Die meisten Betriebe, die als Abnehmer des Stroms in Frage gekommen wären, existierten schon nicht mehr. Für die Versorgung der Privathaushalte wurde kein weiteres Kraftwerk benötigt.

Hinzu kam, dass es sich bei der Hanseatische AG um eine regelrechte Gangsterfirma handelte. Ihr Geschäftsmodell bestand darin, Privatleute – mit der Aussicht auf Steuerabschreibungen und hohe Renditen – dazu zu bringen, ihr Geld in bestimmten Projekten in Ostdeutschland anzulegen. In den alten Bundesländern gingen damals viele Menschen solchen Geschäftemachern auf den Leim und investierten viel Geld, dass sie im schlechtesten Fall nie wiedersahen. Die Chefs der Hanseatischen AG sammelten große Summen an Geld ein und ließen sich fürstlich entlohnen. Sie nahmen die Leute aus – auch die, die noch im Kraftwerk arbeiteten und sich Hoffnung auf den Erhalt ihres Arbeitsplatzes machten – und verdienten selbst immense Summen. Aber irgendwann iegen solche Geschäfte auf. Das passierte auch hier. Die Hanseatische AG ging in die Insolvenz. Es wurde ein Insolvenzverwalter eingesetzt, der uns den Vertrag, den wir mit der Hanseatischen AG geschlossen hatten, vor die Nase hielt und sagte: »Hier steht drin, dass die Hanseatische AG 2 Millionen DM in dieses Geschäft einbringt, die Gemeinde Plessa bringt das Kraftwerk, ebenfalls im Wert von zwei Millionen, ein. Am Kraftwerk selbst bin ich nicht interessiert. Ich möchte die Einlage von 2 Millionen DM von der Gemeinde erhalten!« So kam es. Die Gemeinde musste dem Insolvenzverwalter die zwei Millionen auf den Tisch legen. Dies war unmöglich, denn die Gemeinde hatte das Geld schlicht nicht. Sie musste einen Kredit aufnehmen, der bis heute auf ihren Haushalt drückt. Allerdings konnten wir die Summe reduzieren. Als das Insolvenzverfahren der Hanseatischen AG abgeschlossen werden sollte, hieß es, dass noch Geld zu verteilen wäre. Davon las ich in der Zeitung. Man solle sich melden, wenn nicht, wären alle Ansprüche verwirkt. Wir kümmerten uns darum und erhielten eine Million zurück. Somit konnten wir die Schulden mit einem Schlag halbieren. Inzwischen wurde noch mehr von diesem Schuldenberg abgebaut, aber er existiert weiter und Gottfried Heinicke hat als Bürgermeister daran zu knabbern.

Fred Wanta: Ich bin kein Kraftwerker und gehöre nicht zu den Leuten, die hier zu DDR-Zeiten arbeiteten. Aber ich wuchs in Plessa auf, schaute als Kind auf die Kraftwerkstürme und nahm sie als Markenzeichen unserer Straße wahr. Die Patenbrigade meiner Grundschulklasse kam aus dem Kraftwerk und so durften meine Mitschüler und ich bei einem Schulhaus ug einen Blick ins Kraftwerk werfen. Dabei staunten wir über die Sauberkeit der Bodenfläche, die so blitzblank schien, dass wir von ihr hätten frühstücken können.

Das Kraftwerk stellte für mich das Symbol meines Heimatortes dar, dem jedoch 1998 der Abriss drohte. Die hoch verschuldete Gemeinde, die Eigentümerin des Kraftwerks, kämpfte mit ihren eigenen Problemen. Sie wollte das Kraftwerk schnell loswerden – ganz nach der Vogel-Strauß-Politik: Was ich nicht mehr sehe, ist auch als Problem nicht mehr da! Einwände gegen den Abriss kamen von außen, vom Brandenburger Ministerium für Kultur. Der damalige Minister Steffen Reiche kam selbst nach Plessa, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Schließlich handelte es sich um ein Denkmal – schon 1985 war es offiziell unter Denkmalschutz gestellt worden – es durfte nicht abgerissen werden! Wir erhielten also folgenden Rat: »Wenn ihr etwas für eine Weiternutzung tun wollt, für eine Erhaltung, dann gründet einen Verein und bemüht euch als solcher um eine Förderung.«

Seit seiner Abschaltung 1992 stand das Kraftwerk leer. Dem Vandalismus waren Tür und Tor geöffnet und vieles von der Einrichtung hatte schon Schaden genommen. Trotzdem staunte ich bei meinem ersten Rundgang durch die Gebäude, wie viel noch erhalten geblieben war. Die Schaltzentrale hatte noch keiner angerührt, keiner hatte die Scheiben zerschlagen, keiner die Hebel abgerissen. So fand ich meine Grunderfahrung bestätigt: Wenn eine gewisse Ästhetik vorhanden ist, traut sich auch der dümmste Schläger nicht, reinzuhauen.

Um das Kraftwerk zu retten, gründeten wir den Förderverein Plessa e.V., ohne zu ahnen, was wir uns ans Bein banden. Unser Vorhaben, die ruinöse Hülle des Kraftwerks zu bewahren, war geradezu utopisch. Aber wir wollten es schaffen. Wir wussten, dieser alte Kasten musste erhalten bleiben.

In der Anfangszeit beteiligten sich nur wenige der alten Kraftwerker. Ich glaube, viele verbanden mit dem Kraftwerk nur die Erinnerung an den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Sie hatten die Nase voll, wollten nie wieder her und interessierten sich nicht dafür, was hier passierte. Einige wenige Ausnahmen gab es trotzdem. Der Verein kümmerte sich zunächst um den Erhalt des Gebäudes. Um die nötige Förderung zu bekommen, mussten wir ein konkretes Projekt entwickeln. Dies geschah im Rahmen der IBA, der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2000–2010. Langsam reifte die Idee, das Kraftwerk touristisch zu nutzen. Zwar gab es zu Beginn verschiedene Pläne für eine privatwirtschaftliche Nutzung – unter anderem sollte auf dem Gelände eine Ölmühle errichtet werden – diese Pläne scheiterten jedoch an den EU-Vorgaben. Um eine Förderung zu erhalten, durften wir keine privaten Unter- nehmen ins Boot holen. Eine touristische Nutzung blieb als einzige Möglichkeit offen.

Gottfried Heinicke: Die IBA – die von 2000 bis 2010 in der Region tätig war – leitete für das Kraftwerk und für Plessa eine neue Ära ein. Der damalige Minister Reiche und ich als Fraktionsvorsitzender führten interessante Gespräche mit Professor Kuhn, dem Leiter der IBA. Wir hatten viele Ideen in dieser Zeit des Aufbruchs. Wir hofften, dass Teile der IBA-Infrastruktur in das Kraftwerk kommen, damit dieses Denkmal nicht nur als Museum genutzt würde. Wir versuchten auch Industrie an diesen Ort zu bringen. Der Erhalt des Gebäudes sollte so mit einer für die Gemeinde sinnvollen Nutzung verknüpft werden. Aber all das scheiterte. Allein für den Tourismus sollte das Kraftwerk flott gemacht werden.

Fred Wanta: Als Architekt durfte ich die Sanierung des Kraftwerks, das mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet hatte, planen und gestalten. Gefördert wurden alle Maßnahmen, die aus dem Kraftwerk ein schönes Schauobjekt machten. Der Fokus lag auf der Sanierung der Fassade. Für Fahrradfahrer, die durch Plessa fuhren, sollte das Kraftwerk ein schöner Blickfang sein.

Wir wollten es allerdings nicht bei der äußeren Wiederherstellung belassen. Das Bauwerk für Touristen nutzbar zu machen, sollte auch heißen, diese hereinzulassen und das Haus und die mit ihm verbundene Industriegeschichte für sie erlebbar zu machen. Dazu bedurfte es der Ergänzung einer Infrastruktur. Treppen- und Fluchtweganlagen oder Besuchertoiletten mussten errichtet werden. Wir dachten auch an die Barrierefreiheit und den Einbau von dafür notwendigen Aufzügen. Wäre das Kraftwerk so ausgestattet worden, hätten wir hier eine Menge Veranstaltungen möglich machen können. Aber da setzte der Förderzweck Grenzen. Mit etwas Geschick gelang es, auf legalem Wege Mittel für eine Filmleinwand zu verwenden, wo die Planung bisher nur eine weiße Wand vorsah. Letztlich trug gerade diese Leinwand maßgeblich zur Wiederbelebung des Kraftwerkes bei, da sie bei zahlreichen kleinen Veranstaltungen Verwendung fand. Die Aufzüge konnten wenigstens im Rohbau angelegt werden, die Ausstattung erfolgte später durch eine Zusatzförderung »Barrierefreies Industriedenkmal«.

Leider wurde die Förderung nie weitergeführt. Inzwischen beginnt das, was wir damals retten und erhalten konnten, zu verfallen. Wir haben einen Teil erreicht. Die größere Aufgabe – den Rest des Geländes wiederherzustellen und zu erhalten – liegt noch vor dem Kraftwerk.

Joachim Jähnig: Heute wird das Kraftwerk nicht mehr wirklich gebraucht. Es wurde fein gemacht und steht da, als Attraktion für Touristen. Aber Strom produziert es nicht mehr.

Harald Wintmölle: Das Kraftwerk ist heute nur eine leere Hülle. Dass es einmal ein lebendiger Ort gewesen ist, an dem wir arbeiteten, daran erinnert nichts mehr.

Wolfgang Alkier: Für mich ist das Kraftwerk heute ein wichtiges Industriedenkmal: In der Lehrwerkstatt von Plessa absolvierte ich von 1960 bis 1963 meine Ausbildung zum Elektriker. In dieser Zeit war ich für sechs Monate im Kraftwerk tätig. Wer lange Jahre hier arbeitete, sieht es natürlich mit anderen Augen. Der kennt jede Schraube, erlebte in der einen Ecke dieses und in der anderen Ecke jenes. Den alten Kraftwerkern ist ihr Arbeitsplatz so in lebendiger Erinnerung. Ich selbst kenne das Kraftwerk nur von außen, bin nie in die Nähe der Zentrale, der Anlagen, Turbinen und Generatoren gekommen. Meine Kollegen und ich arbeiteten im Pumpenhaus. Für uns war es unmöglich, während des Betriebs Zugang zu den übrigen Kraftwerksbereichen zu erhalten. Wir trafen uns morgens vor dem Kraftwerk und gingen gemeinsam runter zu den Unterwasserpumpen, den sogenannten UWa-Pumpen, die wir reparierten. Dass die Pumpen immer funktionierten und Wasser sowohl aus der Elster als auch aus Tiefbrunnen förderten, war für das Kraftwerk entscheidend. Es musste kontinuierlich versorgt werden, um die unwahrscheinlich große Menge Dampf zu produzieren, der die Turbinen antrieb.

Ich glaube, dass die elementaren Teile des Kraftwerks heute immer noch da sind. Wir haben eine Bekohlung und den Elevator, der die Kohle nach oben in die Kessel brachte – andem können wir heute zeigen und logisch nachvollziehbar machen, wie das Kraftwerk funktionierte. Die Turbine von 1926 steht noch hier, auch die alten Kondensatoren und Pumpen. Sicher, die große monströse Anlage, die zum Kühlturm ging, existiert nicht mehr. Aber was da geschah, wie dort das Wasser gekühlt wurde, können wir trotzdem erläutern. Sicherlich ist es nicht möglich, die harte Arbeit der Kraftwerker nachzustellen. Aber das ist auch nicht nötig. Die Besucher können es durch unsere Erklärungen nachvollziehen.

Als Gästeführer bin ich für den Kraftwerksverein tätig. Viele Besucher aus Westdeutschland – von Hamburg bis München –, aber auch aus dem Ausland, besichtigen während ihres Urlaubs in Ostdeutschland die Industriebauten in der Lausitz: die Förderbrücke F60, unser Kraftwerk und die Brikettfabrik »Louise«. Bei einer der letzten Führungen sagte ein Besucher aus Bayern: »Wir hatten auch ein Kraftwerk, aber wir wissen nur noch wo die Fundamente stehen.« An vielen Orten in Westdeutschland wurden die alten Industriebauten relativ schnell beiseite geräumt und neu aufgebaut. Bei uns stand alles bis zur Wende und kann, wenn wir uns gut darum kümmern, erhalten und besichtigt werden.

Das Kraftwerk Plessa ist ein Industriedenkmal von einmaliger Bedeutung, eine regelrechte Kathedrale der Industrie.

Gast aus Gröba: Ich lernte in Gröba und war dort längere Zeit als Elektriker tätig. Wir arbeiteten sehr gut mit Plessa zusammen und erhielten den Strom vom Kraftwerk. Er wurde seit 1929 über die 110-kV-Leitung zwischen Lauchhammer und Riesa transportiert. 1945 wurde für kurze Zeit die Leitung gekappt – ein Panzer der Sowjetarmee hatte einen Strommasten in Zeitheim umgefahren. Wir ersetzten ihn provisorisch mit einem Holzmasten und stellten so die Verbindung nach Plessa wieder her.

Wenn ich heute im Kraftwerk Plessa bin und hier den Generator sehe, freue ich mich darüber. In Gröba ist leider nichts mehr vorhanden, nichts erinnert an unsere Arbeit, an die Geschichte des Elektrizitätsverbandes Gröba, der den Ort einstmals mitprägte.

Gottfried Heinicke: Wie es mit dem Kraftwerk weitergehen soll, weiß ich nicht. Unser kleiner Ort gerät mit diesem Koloss immer wieder an seine Grenzen. Auch mit den neuen Eigentümern ist die Zusammenarbeit nicht immer einfach. Dennoch ist das Kraftwerk für mich ein Ort, an dem aus Traditionen heraus Neues entstehen kann. Mit diesem Denkmal steht Plessa ein Platz in der Geschichte der Industrialisierung zu.