Unser geliebter Ascheplatz

Kollektivgeschichte

Wolfgang Kaiser: Bis 1997 gab es in Sedlitz eine wilde Mülldeponie – unseren geliebten Ascheplatz. Sie befand sich da, wo heute die Lagune ist. Aber keine Angst; alles wurde zurückgebaut und saniert, bevor die Lagune entstand.

Silvana During: Der Ascheplatz war immer der schönste Spielplatz für uns Kinder. Da konnten wir rumtoben und fanden allerlei Interessantes.

Wolfgang Kaiser: Wir brachten alles, was wir loswerden wollten, auf den Ascheplatz. Dort fanden wir allerdings auch viel, was uns noch irgendwie brauchbar erschien. Autoreifen, Motoren, ausgediente Stahlträger und anderen Bauschutt, altes Spielzeug, zerschlissene Möbel – und, und, und.

Ich steuerte regelmäßig unseren großen Handwagen durchs Dorf. Alles, was weg konnte, lud ich zu Hause auf, befestigte das Ziehband vorn am Wagen und zog Richtung Ascheplatz. Dort angekommen, kippte ich unseren vermeintlichen Müll ab, nahm in Augenschein, was die Nachbarn in den letzten Tagen so entsorgt hatten und wurde fündig. Da lag zum Beispiel ein Holzbalken, den ich mit einigen Handgriffen abschleifen konnte, schon war er wie neu; oder ein Drahtkorb, den ich mit alten Kabeln flicken und als Behälter für die Kartoffelernte nutzen konnte. Bei jedem Besuch auf dem Ascheplatz fand sich etwas Brauchbares.

Heike Philipp:  Ich musste mich einmal schweren Herzens von meinen Lieblingsstiefeln trennen. Die trug ich, bis es gar nicht mehr ging, bis sie auseinanderfielen. Ich brachte sie auf den Ascheplatz und dachte noch: »Die siehst du nie wieder!« Am nächsten Samstag jedoch, als ich früh beim Bäcker stand, kam Otts Ulli rein. Mit meinen Stiefeln an den Füßen!

Steffen Philipp: Manch einer leerte seinen Autoanhänger auf dem Ascheplatz aus und kam mit gefülltem Anhänger wieder zurück. Mein Opa schimpfte oft darüber, was wir zu Hause für Zeug anbrachten. Für ihn war das Müll, ich dagegen konnte die Sachen noch gut gebrauchen.

Silvana During: Mein Opa verbrachte ganze Tage auf dem Ascheplatz. Während meine Oma zum Friedhof ging, frische Blumen zum Grab ihrer Eltern brachte und Unkraut jätete, stöberte er – wie auf einem Flohmarkt – zwischen den »Waren«, die unsere wilde Mülldeponie feilbot.

Klaus Nasdal:  Als Kind fand ich einmal eine kleine Kiste mit Zigarren. Ich dachte: »Die musst du probieren.« Ich brannte den Stumpen an, so, wie ich es bei den Erwachsenen gesehen hatte. Nach diesem »Genuss« rührte ich nie wieder eine Zigarre an.

Steffen Philipp: In unserer Familie brachte der Großvater meiner Frau immer den Müll zum Ascheplatz. Irgendwann übernahm ich die Aufgabe. Besonders im Winter war das nicht lustig. Ich stellte unsere zwei Mülltonnen auf den Schlitten, band sie notdürftig fest und los ging es. Es kam, was kommen musste: Auf halbem Weg durchs Dorf fielen beide Tonnen scheppernd vom Schlitten. Da stand ich nun und dachte bei mir: »Was machst du hier eigentlich? Bei dem Wetter!« Mir blieb nichts weiter übrig, als die Tonnen wieder auf den Schlitten zu wuchten und mich den Rest des Weges zum Ascheplatz zu quälen.

Monika Blum: Mein Mann brachte einmal ein nigelnagelneues Paar Turnschuhe mit. Ich schaute sie mir genau an und schlüpfte hinein. Sie passten wie angegossen. Jahrelang lief ich in diesen Schuhen herum.

Wolfgang Kaiser: Wir vergessen so schnell, wie wir die Dinge früher machten. Als der Abfallentsorgungsverband gebildet wurde und wir die gelben und schwarzen Tonnen bekamen, war es vorbei mit dem Ascheplatz. Für eine solche wilde Mülldeponie gab es schlichtweg keine Genehmigung mehr. Sie musste geschlossen und saniert werden.