Arbeiten in einer Kathedrale der Industrie

Geschichte von Wolfgang Alkier

Für mich ist das Kraftwerk heute ein wichtiges Industriedenkmal: In der Lehrwerkstatt von Plessa absolvierte ich von 1960 bis 1963 meine Ausbildung zum Elektriker. In dieser Zeit war ich für sechs Monate im Kraftwerk tätig. Wer lange Jahre hier arbeitete, sieht es natürlich mit anderen Augen. Der kennt jede Schraube, erlebte in der einen Ecke dieses und in der anderen Ecke jenes. Den alten Kraftwerkern ist ihr Arbeitsplatz so in lebendiger Erinnerung.

Ich selbst kenne das Kraftwerk nur von außen, bin nie in die Nähe der Zentrale, der Anlagen, Turbinen und Generatoren gekommen. Meine Kollegen und ich arbeiteten im Pumpenhaus. Für uns war es unmöglich, während des Betriebs Zugang zu den übrigen Kraftwerksbereichen zu erhalten. Wir trafen uns morgens vor dem Kraftwerk und gingen gemeinsam runter zu den Unterwasserpumpen, den sogenannten UWa-Pumpen, die wir reparierten. Dass die Pumpen immer funktionierten und Wasser sowohl aus der Elster als auch aus Tiefbrunnen förderten, war für das Kraftwerk entscheidend. Es musste kontinuierlich versorgt werden, um die unwahrscheinlich große Menge Dampf zu produzieren, der die Turbinen antrieb.

Ich glaube, dass die elementaren Teile des Kraftwerks heute immer noch da sind. Wir haben eine Bekohlung und den Elevator, der die Kohle nach oben in die Kessel brachte – an dem können wir heute zeigen und logisch nachvollziehbar machen, wie das Kraftwerk funktionierte. Die Turbine von 1926 steht noch hier, auch die alten Kondensatoren und Pumpen. Sicher, die große monströse Anlage, die zum Kühlturm ging, existiert nicht mehr. Aber was da geschah, wie dort das Wasser gekühlt wurde, können wir trotzdem erläutern. Sicherlich ist es nicht möglich, die harte Arbeit der Kraftwerker nachzustellen. Aber das ist auch nicht nötig. Die Besucher können es durch unsere Erklärungen nachvollziehen.

Als Gästeführer bin ich für den Kraftwerksverein tätig. Viele Besucher aus Westdeutschland – von Hamburg bis München –, aber auch aus dem Ausland, besichtigen während ihres Urlaubs in Ostdeutschland die Industriebauten in der Lausitz: die Förderbrücke F60, unser Kraftwerk und die Brikettfabrik »Louise«. Bei einer der letzten Führungen sagte ein Besucher aus Bayern: »Wir hatten auch ein Kraftwerk, aber wir wissen nur noch wo die Fundamente stehen.« An vielen Orten in Westdeutschland wurden die alten Industriebauten relativ schnell beiseite geräumt und neu aufgebaut. Bei uns stand alles bis zur Wende und kann, wenn wir uns gut darum kümmern, erhalten und besichtigt werden.
Das Kraftwerk Plessa ist ein Industriedenkmal von einmaliger Bedeutung, eine regelrechte Kathedrale der Industrie.

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