Politprominenz und Emotionen bei der Premiere von „Lausitz. Lebensgeschichten einer Heimat“

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Nach zwölf Monaten Lausitz-Projekt fanden sich Lausitzerinnen und Lausitzer zum Feiern in Großräschen ein. In der ersten Reihe nahmen Dr. Martina Münch, Katrin Rohnstock, Iris Gleicke und Prof. Rolf Kuhn Platz. Foto: Detlef A. Hecht

Auf diesen Tag haben viele in der Region gewartet. Nach mehr als 32 Erzählsalons, in denen rund 230 Lausitzerinnen und Lausitzer ihre Geschichten erzählten, fand am 22. September 2016 die feierliche Premiere des Buches »Lausitz. Lebensgeschichten einer Heimat« statt. Mehr als 60 Gäste waren der Einladung ins IBA-Studierhaus nach Großräschen gefolgt:

Erzählerinnen und Erzähler, interessierte Einheimische sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Regionalentwicklung und Wirtschaft.

Der Moderator Sebastian Bertram begrüßte das Publikum, darunter politische Prominenz wie Iris Gleicke (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, und Dr. Martina Münch (SPD), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Andrea Fischer (CDU), Staatssekretärin im Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, und der Landtagsabgeordnete Wolfgang Roick (SPD), Vorsitzender der Enquete-Kommission zur Zukunft der ländlichen Regionen.

Lob für das Projekt vom Hausherrn Prob. Rolf Kuhn und Iris Gleicke

Prof. Rolf Kuhn lobte die Initiativen, die durch die Erzählsalons entstanden sind. Solche "Bündnisse zum "in die Hand nehmen" brauche die Lausitz auf dem Weg eine stark veränderte Zukunft.
Prof. Rolf Kuhn lobte die Initiativen, die durch die Erzählsalons entstanden sind. Solche „Bündnisse zum „in die Hand nehmen“ brauche die Lausitz auf dem Weg eine stark veränderte Zukunft. Foto: Detlef A. Hecht

Als erster Redner bekam der Hausherr Prof. Dr. Rolf Kuhn das Wort. Er sprach vom großen Erfolg des Erzählprojekts, das an die von ihm einst geleitete Internationale Bauausstellung IBA Fürst-Pückler-Land ideal anknüpfe. Die IBA hatte von 2000 bis 2010 mit einem lebendigen und konstruktiven Ansatz Impulse für den Strukturwandel der Region und seine Menschen gegeben. Das Erzählprojekt »Die Lausitz an einen Tisch«, so Prof. Kuhn, ermögliche nun eine erneute Kontaktaufnahme mit diesen Menschen und förderte mithilfe des Erzählens die Bildung von Gemeinschaften, das Besinnen auf eigene Stärken und die Ideenfindung.

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„Wir Ostdeutschen können Veränderung“, sagte Iris Gleicke in ihren Grußworten. Die Lausitzerinnen und Lausitzer hätten das im Erzählprojekt erneut bewiesen. Foto: Detlef A. Hecht

Iris Gleicke, deren Ministerium das Projekt förderte, schloss sich Prof. Kuhn an und bedankte sich bei allen Mitwirkenden für das Gelingen dieses Projekts. Sie betonte den gemeinschaftlich inspirierenden und initiierenden Charakter des Erzählprojekts. Von Anfang an sei sie begeistert gewesen von der Idee, Menschen in Erzählsalons an einen Tisch zu setzen, um sie miteinander in ein fruchtbares und kreatives Gespräch zu bringen. „Doch war ich skeptisch, ob das klappt. Den Beweis, dass das Experiment gelang, liefert dieses Buch“, sagte sie.

Anschließend ergriff Katrin Rohnstock das Wort. Als Initiatorin des Projekts zog sie anlässlich des Auslaufens der Projektförderung ein kurzes Resümee. Für sie war es toll zu erleben, wie nach anfänglichen Berührungsängsten immer mehr Menschen zu erzählen begannen. Sie bedankte sich dafür, dass die Lausitzer ihre sehr persönlichen Geschichten teilten.

Zum ersten Mal lasen die Lausitzer selbst aus ihren Geschichten

Johannes Walther aus Plessa las erstmals aus seiner Geschichte »Vorbei Erna – Aufstieg und Fall der Vereine in Plessa«.
Johannes Walther aus Plessa las erstmals aus seiner Geschichte »Vorbei Erna – Aufstieg und Fall der Vereine in Plessa«. Foto: Detlef A. Hecht

Danach stand der wichtigste Programmpunkt dieses sonnigen Vormittags an: Die Präsentation der Anthologie „Lausitz. Lebensgeschichten einer Heimat“. Die Stimmung im IBA-Studierhaus war dabei freudig-gespannt. Schließlich waren viele der Erzähler anwesend, deren Geschichten das Buch füllen.
Bisher waren ihre Geschichten bei den vorangegangenen Broschüren-Präsentationen vom Projektteam vorgetragen worden. Nun lasen die Erzähler erstmals selbst aus ihren eigenen Geschichten vor. Gebannt lauschte das Publikum den Geschichten von Karl-Heinz Radochla und Roland Sängerlaub aus Geierswalde, Johannes Walther aus Plessa, Beate Gruhn, Renata Schwuchow und Thoralf Heerwagen aus Lauchhammer, Margaritta Knobloch aus Marga, Wolfgang Kaiser aus Sedlitz und Frank Muschik aus Großräschen.

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Renata Schwuchows, Thoralf Heerwagens und Beate Gruhns (v. li. n. re.) Geschichten aus Lauchhammer hatten im Publikum für viele Lacher gesorgt. Foto: Detlef A. Hecht

Für das Publikum war die Lesung zum Teil hoch emotional, sogar Tränen flossen, aber auch helle Freude war ihren Gesichtern abzulesen. Die Vortragenden bekamen sogleich ihr ganz persönliches Exemplar von der Staatssekretärin Iris Gleicke und dem IBA-Studierhaus-Chef Prof. Dr. Rolf Kuhn überreicht.

Nach der Buchvorstellung folgte eine weitere feierliche Übergabe: Das Projektteam überreichte nachträglich die Preise für die prämierten Kollektivgeschichten des Wettbewerbs »Die besten Geschichten aus der Lausitz«, der Ende Mai im IBA-Studierhaus stattgefunden hatte. Die Sieger in der Kategorie »Einzelgeschichte« hatten damals ein in Leder gebundenes Notizbuch erhalten – eine Menge Platz für viele weitere Geschichten.

Die symbolische Übergabe der Lausitzer Holztische

Roland Sängerlaub sowie Ingrid und Karl-Heinz Radochla nehmen die für den ersten Preis symbolischen Tischkarten entgegen.
Roland Sängerlaub sowie Ingrid und Karl-Heinz Radochla nehmen die für den ersten Preis symbolischen Tischkarten entgegen. Foto: Detlef A. Hecht

In der Kategorie »Kollektivgeschichten« wurde den drei Sieger-Orten jeweils ein ovaler Holztisch als Gewinn in Aussicht gestellt. Einer von ihnen stand nun frisch gezimmert von der Lausitzer Tischlerei Mäuer vor den Gewinnern.
Tischlermeister Andreas Mäuer aus Wainsdorf, der den Tisch aus wiederverwendetem Holz angefertigt hatte, erklärte die Besonderheit des Tisches: „Unser Ziel ist es, Möbel mit Charakter zu fertigen, Möbel die Unikate sind und eine Geschichte erzählen können. Dies gilt auch für diesen Tisch. Er ist nicht nur in der Form sehr charakteristisch, sondern auch im Gebrauch sehr praktisch, da sich die erzählenden Personen durch die ovale Form sehr gut sichtbar gegenüber sitzen.“

Der Tisch steht symbolisch für die Fortführung des Erzählprojekts. Denn an ihm wird künftig zu weiteren Erzählsalons gebeten. In Lauchhammer soll er im Mehrgenerationenhaus Platz finden. In Geierswalde warten die im Projekt ausgebildeten Salonniers schon sehnsüchtig auf ihren Tisch, der im Vereinsheim aufgestellt werden soll. In Plessa wird er im Kulturhaus Menschen um sich versammeln.

Der erste Erzählsalon am Lausitz-Tisch mit einer ungewöhnlichen Salonnière

Der stellvertretend für alle drei Gewinnermöbel im IBA-Studierhaus präsentierte Tisch wurde sogleich erst einmal „ausgeliehen“ und an Ort und Stelle auf seine Salon-Tauglichkeit geprüft, mit keiner geringeren als der parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke als Salonnière. Weil sie aus nachvollziehbaren zeitlichen Gründen nicht an der Salonnièren-Ausbildung hatte teilnehmen können, hatte sie sich die Regeln im Schnelldurchgang aneignen müssen. Zum Thema »Mein eindrücklichstes Erlebnis im Erzählprojekt« gruppierten sich sodann neun Erzähler um den Tisch.

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Foto: Detlef A. Hecht

Neben zwei Vertretern des Projektteams, Nepomuk Rohnstock und Antje Käske, und zwei im Projekt ausgebildeten Salonnièren, Kerstin Gogolek und Aspasia Krause, nahmen die ehemaligen Ortsvorsteher von Sedlitz und Geierswalde, Wolfgang Kaiser und Karl-Heinz Radochla, Platz. Auch der ehemalige Amtsdirektor des Amtes „Am Senftenberger See“, Peter Gallasch (übrigens ebenfalls ausgebildeter Salonnier), sowie der Plessaer Erzähler Wolfgang Alkier beteiligten sich. Der Senftenberger Bürgermeister Andreas Fredrich komplettierte die Erzählrunde.

Die Moderation des Salons meisterte Iris Gleicke mit Bravour. In den Geschichten war viel Lob für das Erzählprojekt zu hören – und die Erkenntnis, dass es weitergehen sollte. Denn viele Geschichten der Lausitzer, so Karl-Heinz Radochla, seien noch immer nicht erzählt.

Ein Erzählsalon blieb zwei Teilnehmenden besonders in Erinnerung: der Sedlitzer Erzählsalon mit Frauen des Deutschen Frauenbundes und Geflüchteten aus dem benachbarten Asylbewerberheim.
In diesem Erzählsalon, so schilderten Kerstin Gogolek und Nepomuk Rohnstock, war unmittelbar zu erleben, wie Misstrauen und Ressentiments gegenüber den Geflüchteten durch das gegenseitige Erzählen und Zuhören abgebaut wurden. Die Frauen und Geflüchteten seien am Ende des Erzählsalons miteinander im Gespräch gewesen – ohne Moderator und Dolmetscher. „Das war ein großer Erfolg“, erzählte Nepomuk Rohnstock.

Das Format Erzählsalon konnte auch überraschen: Andreas Fredrich, der Bürgermeister von Senftenberg, hatte befürchtet, den Bürgern im Erzählsalon Rede und Antwort stehen zu müssen. Stattdessen tauschte er sich mit den Erzählern produktiv aus. Sein Fazit lautete: „Das, fand ich, war wirklich einer der Stärken von diesem Erzählsalon: Nämlich miteinander zu reden und auch zuzuhören.“

Mit der offiziellen Zertifizierung der Salonnièren bleibt der Erzählsalon in der Lausitz

Ein feierlicher Akt des Vormittags stand noch aus: Die Übergabe der Zertifikate an die im Projekt ausgebildeten Salonnière und Salonniers. Peter Gallasch, Roland Sängerlaub, Aspasia Krause, Kerstin Gogolek und Frank Muschik übernehmen künftig die ehrenvolle wie ehrenamtliche Aufgabe, dieses wunderbare Veranstaltungsformat in ihren Orten fortzuführen, um auch nach Ende der jetzigen Förderphase viele Lausitzerinnen und Lausitzer für das Erzählen zu begeistern.

Ministerin Dr. Martina Münch war begeistert von der Kraft der Geschichten

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Dr. Martina Münch resümierte: „Das ist ein Samen, der hier gepflanzt wurde und der weiter wachsen wird – in welcher Form auch immer, da bin ich ganz sicher.“ Foto: Detlef A. Hecht

Schließlich hielt Frau Dr. Martina Münch, die Brandenburger Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, die letzten Worte. Sie verwahrte sich dagegen, ein Schlusswort zu sprechen – vielmehr betonte sie, dass es „keinen Schluss dieser Erzählsalons“ gebe. „Ich möchte mich ganz, ganz herzlich bedanken, für diesen wunderbaren Vormittag und für die Möglichkeit, einige von ihren Geschichten zu hören und nachzuerleben, nachzuempfinden, was hier passiert ist bei diesen Erzählsalons.“

Weiter führte sie aus: „Am besten hat mir heute die Geschichte von Frank Muschik gefallen. Das fand ich ganz großartig! Weil Sie gezeigt haben, was passieren kann, wenn wir uns einander zuhören und wenn wir uns öffnen. Und auch die Geschichte mit den Flüchtlingen; das war die zweite Geschichte. Ich hätte das auch angesprochen. Das ist toll, dass das von Ihnen schon gekommen ist. Weil ich glaube, über das Geschichtenerzählen vergewissern wir uns ein Stück weit unseres Menschseins und wir spüren, dass wir alle gemeinsam eine große Gemeinschaft auch bilden und dass wir daraus ganz viel Kraft ziehen.“

Während die Staatssekretärin Iris Gleicke im Anschluss an die Veranstaltung fleißig Bücher für alle anderen Erzählerinnen und Erzähler signierte, begaben sich die Gäste nach und nach zum Grillbuffet auf der Terrasse des Studierhauses, wo sie den feierlichen Vormittag beim gemütlichen Beisammensein ausklingen ließen.