Es lag an uns, etwas aufzubauen

Geschichte von Steffen Philipp

In den Siebzigerjahren herrschte in der Bergarbeitersiedlung in Sedlitz noch Ordnung. Die Leute achteten aufeinander und hielten zusammen. Wir Kinder erlebten eine sorgenfreie Kindheit. Im Ort gab es alles, was wir zum Leben brauchten: nicht nur einen Kindergarten und eine Schule, sondern auch einen Friseur, Arztpraxen, eine Sparkasse und Geschäfte. Wenn ich neue Schuhe brauchte, gab mir meine Oma Geld, ich ging zum Schuster und suchte mir ein schönes Paar aus.

Ich wuchs bei meinen Großeltern auf, nachdem sich meine Eltern hatten scheiden lassen. Eine schwere Zeit, in der ich es meiner Oma und meinem Opa nicht immer leicht machte. Auch mein Vater lebte in Sedlitz, doch es gab keinen Kontakt zu ihm. Erst nach meinem Schulabschluss fanden wir einen Weg zueinander und bauten eine richtige Vater-Sohn-Beziehung auf. Er unterstützte mich, so gut es ging. Nachdem ich selbst Vater geworden war, wollte ich ein eigenes Heim für meine Familie bauen. Allein die Finanzierung fehlte. Obwohl meine Frau als Erzieherin arbeitete und ich im Bergbau tätig war, lehnte die Sparkasse unseren Kreditantrag ab. Daraufhin mischte sich mein Vater ein. Er ging geradewegs zur Bank und sagte: »Ich möchte das gesamte Guthaben von meinem Sparbuch abheben«. Als sie fragten, wofür er das Geld brauche, antwortete er: »Na, mein Sohn bekommt bei Ihnen keinen Kredit! Also finanzieren wir das Haus über meine Mittel«. Vier Wochen später hielten wir die Bewilligung in den Händen.

Kurz nach der Wende in Sedlitz ein Haus zu bauen, war mutig. Der Ort stand auf der Kippe. Viele der jungen Sedlitzer gingen in den Westen, weil sie dort Chancen sahen, gutes Geld zu verdienen. Hier gab es die Voraussetzungen dafür nicht. Es lag an uns, etwas aufzubauen.

Die Hartnäckigkeit der damaligen Ortsbeiräte veränderte den Ort. Die Straßen wurden erneuert und vieles mehr. Wir spürten: »Es geht aufwärts! Hier kann man eine Zukunft aufbauen.« So ging es auch mir. Ohne diese Initiativen wäre ich heute, wie meine Freunde, im Westen. Zu sehen, was sich positiv entwickelt, ermutigte mich, in meinem Heimatort zu bleiben.

Ich entschied mich – nachdem der aktive Bergbau in Sedlitz abgewickelt und die anschließenden Sanierungsarbeiten abgeschlossen waren – für einen beruflichen Neuanfang. Von Klaus Nasdal übernahm ich den Getränkehandel und brachte mich ehrenamtlich in den Ort ein: Zunächst als Mitglied im Unternehmer- sowie im Wassersportverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr, inzwischen als Vorstandsmitglied der erstgenannten Vereine.

Anfang 2015 übernahm ich den Pleite gegangenen Supermarkt neben der Kirche. Für mich eine Selbstverständlichkeit. So ein großer Ort wie Sedlitz braucht ein Geschäft, in dem vor allem die älteren Leute, die nicht mehr so leicht in die Stadt kommen, Lebensmittel kaufen können. Dennoch ist mein Markt nicht nur zum Einkaufen da. Er bildet einen wichtigen Treffpunkt für die Dorfbewohner.

Meine zwei Läden aufrechtzuerhalten, ist ein schweres Brot. Die unternehmerischen Aufgaben bringen gesundheitliche Risiken mit sich. So sagt mein Arzt: »Sie müssen auch an sich denken!« Dennoch will ich nicht kürzer treten. Ich habe mich für diesen Weg entschieden und werde alles tun, damit die Läden weiterbestehen und zum Zusammenhalt des Dorfes beitragen. Einige Monate bevor ich den Lebensmittelladen eröffnete, bot sich mir eine besondere Möglichkeit. Frank Ciesielski kam zu mir und fragte: »Mensch, hast du schon gehört? Wolfgang Kaiser wird nicht mehr für den Ortsbeirat antreten. Kannst du dir vorstellen zu kandidieren?«

Noch am selben Tag sagte ich zu und wurde kurz darauf zum ehrenamtlichen Ortsvorsteher gewählt. Seither versuche ich, in die riesengroßen Fußstapfen Wolfgang Kaisers zu treten. Er selbst sagt: »Als Vorsteher eines kleinen Ortsteils wird es einem nicht leicht gemacht. Wir müssen uns gegen die große Stadt durchsetzen.«

Ich erlebe, dass nicht nur Sedlitz, sondern auch andere Ortsteile von Senftenberg nicht gehört werden. Um etwas zu erreichen, und nicht nur als Anhängsel der Stadt behandelt zu werden, müssen wir kämpfen. Allein würde ich das nicht schaffen. Zum Glück gibt es an meiner Seite tatkräftige Sedlitzer, die mich unterstützen.

Die Entwicklung von Sedlitz ist auf einem guten Weg. Das sehe ich an den vielen jungen Familien, die heute wieder im Ort leben. Früher mussten wir die Menschen bitten: »Es wäre schön, wenn du hier bleibst.« Heute sagen die Sedlitzer von allein: »Hier lohnt es sich zu leben!«