Unsere Geschichte über’n Gartenzaun

Die Geschichte von Norbert Tschirner

Meine Familie und ich leben seit 1972 in Senftenberg, seit 1973 bin ich Pächter eines Kleingartens in Brieske. Die Anmeldung bei unserer Kolonie »Am Margaretengraben« war ganz einfach.

Ein Bekannter hatte mir einen Tipp gegeben: »Geh mal zum Margaretengraben! Mein Freund ist dort Kassierer. Bei dem kannst du dich anmelden.« Das machte ich. »In der dritten Reihe ist noch ein Garten frei«, sagte mir der Kassierer. »Hol dir ein Bandmaß, nimm von den vier Gärten, die schon da sind, die Fluchtlinie und messe 18 Meter ab. Da ist dann dein Eckpfosten.« So kam ich zu meinem Gartengrundstück und die Arbeit ging los. Die Fläche bestand zur Hälfte aus verunkrautetem Acker und zur anderen aus verwildertem Garten. Während meine Frau Quecken und Giersch jätete, entfernte ich die Sträucher und stutzte die Obstbäume. Nach und nach gelang es uns, den Garten urbar zu machen und alles so herzurichten, dass wir uns wohlfühlten. Was fehlte, war eine Laube.

Steine besorgte ich auf dem Gelände der geplanten Rostocker Straße. Dort wurden einige Häuser abgerissen, um die Straße zu verbreitern. Die Abbruchsteine kamen nicht auf die Deponie, sondern konnten von uns weiterverwendet werden. Kies und Sand organisierte ein Bekannter aus dem BKK Senftenberg; die Pfosten für unseren Gartenzaun baute ich aus Trocknerrohren, die ich auf dem Schrottplatz des BKKs bekam. Gemeinsam mit einem Nachbarn besorgte ich eine Rolle Hochspannungsleitungsdraht. Dieser bestand aus Aluminium und diente mir als Ausgangsmaterial für die Zaunfelder. In den Wintermonaten zersägte ich in meinem Keller zuerst die Leitung in gleichlange Abschnitte und entflechtete die einzelnen Adern. Die Drähte bog ich mit Hilfe eines in einem Rohr drehbaren Flacheisens zum Maschendraht und fügte sie per Hand zum Zaun zusammen. Das so entstandene Zaunfeld befestigte ich an den Pfosten. Fertig!

Wir ließen uns etwas einfallen – wenn es keinen Zaun zu kaufen gab, dann fertigten wir ihn selbst an. Was wir nicht selbst herstellen konnten, war Zement. Es gab ihn selten und wenn, wurde er nur in begrenzter Menge verkauft. In der Regel erhielt jeder maximal vier Sack. Hörten wir also, dass die BHG – die Bäuerliche Handelsgenossenschaft – eine Lieferung Zement erhalten hatte, schnappte ich mir mein Fahrrad samt Anhänger, fuhr in die Bebelstraße und ließ mir dort zwei Sack aufladen. Schnell radelte ich damit heim nach Brieske, lud ab und kehrte zurück, um mir die andere Hälfte abzuholen. Letztlich gelang es uns, den Garten zu unserem zweiten Heim zu machen.

Wohl fühlten wir uns auch deshalb, weil im Kleingartenverein eine sehr freundschaftliche Atmosphäre herrschte. Jeder investierte viel Arbeit in seinen Garten und in die Gemeinschaft. Regelmäßig fanden Mitgliederversammlungen statt, Pflegemaßnahmen – wie zum Beispiel das Spritzen der Bäume gegen Pilzbefall oder Ungeziefer – erledigten wir gemeinsam. Nicht nur die Arbeitseinsätze, auch die schöneren Seiten des Lebens gestalteten wir gemeinschaftlich. In jedem Jahr feierten wir ein Sommerfest, wir grillten und saßen abends lange zusammen. Den Jahresausklang begingen wir mit einem großen Tanzabend in der Niemtscher Mühle.

Dieser tolle Zusammenhalt, der auf unserer gegenseitigen Hilfe gründete, hielt bis 1990. Mit der Wende gaben viele der alten Vereinsmitglieder ihren Garten auf und kauften oder bauten sich ein Häuschen. Die neuen Pächter waren nicht mehr an einem aktiven Kleingartenleben interessiert. Auch das Gärtnern und die Selbstversorgung standen für sie nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Möglichkeit, mit Freunden Partys zu feiern oder einfach nur in der Sonne zu faulenzen. Das verstehen sie heute unter Garten. Um weniger Arbeit zu haben, fällten viele der Neupächter die alten Obstbäume. Das führte zu Konsequenzen auch in meinem Garten: Mein schöner Birnbaum, von dem ich jahrelang viele Früchte geerntet hatte, trug von Jahr zu Jahr weniger. Ich fragte einen Fachmann, woran das liegen könne und er erklärte mir, dass die Bestäuberbäume fehlten. Im Umfeld unserer Gartenanlage standen so gut wie keine Birnbäume mehr. Mein Baum benötigt aber, um Früchte zu bilden, einen zweiten Birnbaum einer anderen Sorte. Auf den Rat des Fachmanns hin pflanzte ich vor fünf Jahren die richtige Bestäubersorte und seit zwei Jahren hängen wieder Birnen an dem alten Baum.

Mittlerweile beobachte ich auch, dass sich das Klima in der Kolonie verbessert. Unser Vorsitzender ist sehr engagiert; es gibt wieder Sommerfeste, einen Tag der Offenen Tür und ein Herbstfest. Der Zusammenhalt ist sicherlich nicht so wie früher, aber es besteht deshalb kein Grund für mich, den Garten aufzugeben. Auch wenn wir vor zwölf Jahren eine Doppelhaushälfte in der damals neu gebauten Siedlung »Im Alten Stadion« gekauft haben – die dort errichtet wurde, wo einst das Glück-Auf-Stadion gestanden hatte – bleibe ich meinem Garten treu. Ich weiß nicht genau warum der Zusammenhalt in der Gartenkolonie vor der Wende so stark gewesen war. Der Erfindungsreichtum und die Tauschgeschäfte, das geteilte Wissen darum, als Mieter einer Neubauwohnung etwas Eigenes zu besitzen, die vielen Feste und das gemütliche Beisammensein – all das wird wohl eine Rolle gespielt haben.

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