In Lauchhammer spielt die Musik – ein Erzählsalon bei Buntrock

3. Platz im Wettbewerb „Die besten Lausitz-Geschichten“ (Kollektivgeschichte)

Salonnière: »Was wir in Lauchhammer mit Musik machen« lautet heute das Thema un­seres Erzählsalons im Südclub. Ich weiß nicht, ob der Begriff »Salon« in diese Räume passt?

Henry Schüler: Na klar! Aber »Erzählkeller« ist auch okay.

Salonnière: Dann bleiben wir beim Erzählsalon. Wir haben drei Flüchtlinge aus Afgha­nistan zu Gast in der Runde. Wer über­setzt für sie?

Henry Schüler: Ich übernehme das: Today is all about music. What do you do with music in Lauchhammer? That is our topic. Which kind of music do you like? Do you make music yourself? Do you play an instrument or sing or dance?

Salonnière: Danke. Wollen Sie gleich anfangen?

»Punk«

Henry Schüler: Ich spiele seit vier, fünf Jahren Gi­tarre. Als ich ungefähr dreizehn Jahre alt war, kaufte ich mir im Lidl einen Billig­-Gitarrensatz.

Im alten Buntrock saßen wir oft im Proberaum rum und hörten den Leuten zu, die gerade Musik machten.
Es gab viele Bands, auch richtig gute, die alles von Punkrock bis Rockabilly und Gothic oder Darkwave spielten. Für jeden war etwas dabei.

Mit Stefan und Danny, ein paar Freunden, die auch im Buntrock waren, be­gann ich, selbst Musik zu machen. Wir gründeten eine Band, trafen uns wöchentlich und probten. Irgendwann fingen wir an, Konzerte zu geben. Immer wieder unter wechselnder Besetzung.

Drüben im Sportraum stand ein abge­ramschtes Schlagzeug, das hatte je­mand gegen ein paar Stiefel getauscht.

Steven: Henry brachte mich darauf, Schlag­zeug zu spielen. Von alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Aber für mein persönliches Wohlbefinden ist es gut, wenn ich etwas aus meiner Freizeit mache.

In einer Band zu spielen, bereichert mich, es ist wie eine Weiterbildung. Radio kann ich nicht mehr hören, das ist immer dieselbe Leier. Ich will Texte hören, die zum Nachdenken anregen, die sich mit der politischen Lage und dem Asylthema auseinandersetzen. Der Sänger unserer Band schreibt sol­che Texte. Unsere Musikrichtung, der Punkrock, ist politisch. Die Musik wird gemacht, um Menschen zu bewegen und aufzuklären. Dabei geht es um die gesamte gesellschaftliche Lage, darum, wie die Menschen sich unter­ einander benehmen und um die ego­istische Einstellung, mit allem Gewinn machen zu müssen – dagegen spielen wir an.

Wir wollen zeigen, dass es eine Alter­native zu dieser Lebensform gibt.

Henry Schüler: Vor kurzem nahmen wir unser Album auf. Demnächst veranstalten wir eine Record­-Release­-Party. Mit uns spielen zwei Bands aus Finsterwalde und Senftenberg.

Viele Jugendliche aus unserer Ecke nden Punkrock gut. Wenn Konzerte stattfinden, kommen alle aus der Um­gebung hierher.

Es gibt im Internet coole bedruckte Stoffbändchen. Sie kosten zwei Euro pro Stück, die werden wir bestellen. Der Erlös geht an »Seawatch«. Das ist eine Organisation, die mit einem pri­vaten Schiff in Seenot geratene Flücht­linge rettet. Die Konzertbesucher zah­len mit dem Erhalt der Bändchen eine freiwillige Zwangsspende. Als Band sind uns solche Aktionen wichtig.

I’ve been playing the guitar since I was thirteen years old. I play in a punk rock band. We have been together for five years now. Our rehearsal room is right behind you.

Die Musikszene(n) von Lauchhammer

Henry Schüler: In dem Proberaum hier drüben macht eine Band moderne Partymusik. »Soundbar« heißen die, glaube ich. Dann gibt es noch den Nappi, der sein eigenes Tonstudio eingerichtet hat. Was heißt Tonstudio! Er baut es Stück für Stück auf. Von dem Geld, das er ver­ dient, wenn er als Tontechniker Musik abmixt, baut er weiter. Sein Traum ist ein richtiges Studio. Er hat begonnen, Filmmusik in Potsdam zu studieren.

Konrad Wilhelm: Die Lauchhammeraner Chöre da­ gegen sind eingeschlafen. Der Stadt­chor ist das Überbleibsel vom Berg­arbeiterensemble. Es gibt einen Chor aus der Europaschule in der Zille­Straße, seine Mitglieder sind schon um die Fünfzig. Der Chor entwickelte sich aus dem Schulchor heraus. So­ lange singen sie schon zusammen. »Viva La Musica« heißen sie.

Die Kinderband »Green Forest« ver­eint die jüngsten Musiker der Stadt. Der Jüngste ist der Schlagzeuger, der müsste zehn oder elf Jahre alt sein.

Henry Schüler: Den Spielmannszug gibt’s auch noch.

Konrad Wilhelm: Die Tanzgruppe ist eingeschlafen.

Henry Schüler: Die »Street Fight East«, eine Rap­-Hip­-Hop­-Kombo, hatte sich mal in unse­ren Proberaum einquartiert.

»Big Fell Shaken« machen Rockabilly, proben aber wohl nicht mehr in Lauchhammer.
Im Buntrock gab es eine Band, die nannte sich »Drunken Butterfly«, be­trunkener Schmetterling. Sie spielten Irish Folk.

Und »Müller Beats«, Müllix, hat sei­nen Proberaum fürs Schlagzeug hier drüben. Der ist Schlagzeug­-Lehrer in der Europaschule. Die Musikszene in Lauchhammer ist reichhaltig.

We are talking about the different kinds of music in Lauchhammer. We have Hip-Hop-Bands, Countrymusic, Folk or Irish Folk, Rock and even a choir.

Salonnière: Ihr habt einen schönen Überblick über die Szene gegeben. Können sie nicht alle zusammenkommen, um zu mu­sizieren? Im letzten Sommer wurde in Freiburg im Breisgau eine Stadtoper aufgeführt. Fünf Bands aus der Stadt und zehn verschiedene Chöre sangen gemeinsam. Das Orchester bestand aus Laien. Eine Türkin komponierte den Musikern der Stadt die Oper auf den Leib. Vielleicht könnt ihr in diese Richtung weiterdenken?

Nikol Schüler: Das klingt cool.

Kerstin Gogolek: Ihr habt euch und ein Potential von dreihundertfünfzig Menschen aus an­deren Ländern in der Stadt.

»Welche Musik wir in Afghanistan machen«

Salonnière: Möchte jetzt einer von euch erzählen?

Would you like to talk about your story with music?

Hossaini Saidmojtaba [übersetzt aus dem Arabischen ins Englische]: Undar listens to Afghan music. He likes Afghan music. Ali Khan is a very good dancer.
I don’t listen to German music. I am playing the jembe.

Henry Schüler: It’s a kind of drum, isn’t it?

Hossaini Saidmojtaba: It’s the jembe. But Wais is not playing.

Kerstin Gogolek: Wais sings in the morning. Before we start our German class. After the German class he doesn’t sing.

Hossaini Saidmojtaba: I sing too, but not too much. A friend of mine is in the ballet.
His brother Shakib Mosadeq is a famous singer from Afghanistan. Now he lives in Hamburg. Sometimes he calls some friends and then we have a party and sit together. These parties are good.

Another friend lives in Berlin. He is working with Turkish people. Sometimes, when we go to Berlin, we throw a small party, too. We are playing the guitar, playing the harmonium, this belongs to Afghan music.

I am the only one who listens to classical music. Rap music is now popular in Afghanistan. But I prefer listening to normal guitar music.

»Ohne Musik wäre der Ofen aus«

Marian Freigang: 1993 begann ich, mich richtig für Musik zu interessieren. In dieser Zeit ging es mit harten Bands wie »Sepultura« – also Death-­Trash-Metal­-Bands und Hardcore­-Bands – los. Diesem Musik­ stil bin ich treu geblieben. Daran wird sich auch nichts ändern. Schlagzeug spiele ich, seitdem ich zwanzig bin. Musik ist immer und überall in mei­nem Leben. In einer festen Band spiele ich nicht, aber mit Stefan Cepa und Michael Piskuhl treffe ich mich zu Jamsessions. Jeden Dienstag im­ provisieren wir für ein, zwei Stunden. Wir hatten früher eine Band, doch nach zwei, drei Auftritten zerschlug sich das Ganze.

Ich gehe jedes Wochenende auf Kon­zerte. Ohne Musik wäre der Ofen aus.

Henry Schüler: Marian makes music, too. He plays the drums. He started, when he was twenty years old. He isn’t part of a band, but in a small group they meet and make music together, just for fun.

Marian is also a member of Buntrock. They organise concerts at different locations, like the Biotürme.

Konrad Wilhelm: I am a member of the history club of Lauchhammer.We save traditions and keep the coal industry‘s history alive. Especially the Biotürme are important for us. The towers are the last buildings that represent the old coal industry here. They are quite unique and we want them to become a living part of Lauchhammer again through concerts or other events.

»Feiern vor den Biotürmen«

Marian Freigang: Als wir 2012 mit einem Festival zwan­zig Jahre Buntrock feierten, kamen über sechshundert Besucher. Wir fei­erten draußen, gleich beim Buntrock, zwischen Kindergarten und Baracke.

Konrad Wilhelm: Das Festival sah ich mir kurz an. Ich suche den Kontakt zur jungen Gene­ration. Ich wünsche mir, dass sie die Biotürme für solche Veranstaltungen nutzen können. Durch die Eigner der Türme passiert zu wenig. Dabei sind die Biotürme ideal für solche Events. Dort draußen stört der Krach niemanden.

Marian Freigang: Erst ein Mal veranstalteten wir ein Festival vor den Biotürmen. Bis zwei Uhr morgens war die Veranstaltung offiziell genehmigt, dennoch ließen wir die Musik weiterlaufen. Niemand beschwerte sich.

Zwischen drei und vier kam die Poli­zei, ohne Vorwarnung. Offenbar passte es einigen nicht, dass endlich mal etwas los war in Lauchhammer. Letztlich sollten wir Strafe dafür zah­len, dass die jüngeren Leute etwas auf die Beine gestellt hatten! Die Stunden sollten wir in Lauchhammer abarbei­ten. Ich sagte nur: »Wer das machen will, der kann hingehen. Ich bin nicht dabei!«

Konrad Wilhelm: Früher hätte kein Hahn danach ge­kräht. Heute muss jeder seinen Senf dazugeben, jeder denkt nur: »Ich!« Da ist der Griff zum Hörer schnell getan. Früher gab es fast keine Telefone, da konnte keiner schnell mal die Polizei anrufen.

Marian Freigang: Da musste man persönlich hingehen. Jetzt ist das einfacher: Aus dem Hinterhalt kann man den jungen Leuten eine Beschwerde reindrücken.

Konrad Wilhelm: Das ist schade. An den Türmen wur­ den technische Anlagen installiert, die nicht genutzt werden. Im hinteren Teil wurde eine LED­-Beleuchtung ein­gebaut und in den Kreuzen zwischen den Türmen, die im Außenteil noch fehlen, sind Leitungen vorhanden. Es gibt eine Schnittstelle, die könnt ihr ansteuern und mit der Musik koppeln. Damit lassen sich wunderbare Licht­effekte erzeugen.

Henry Schüler: Es ist nicht einfach, in Lauchhammer Konzerte zu organisieren. Wollen wir eins veranstalten, bekommen wir wahnsinnige Auflagen.

Vor­- und Nachbereitungszeit werden immer länger, da wir von der Ver­sicherung bis zum feuerfesten Tep­pich alles selbst organisieren müssen.

Marian Freigang: Ich habe das auch gemerkt. Es ist ei­gentlich nur noch ein Krampf, wenn du etwas auf die Beine stellen willst.

Konrad Wilhelm: Das liegt an den Gesetzen. Letztlich kann man der Stadtverwaltung nichts vorwerfen: Die Verantwortlichen set­zen die Gesetze durch, damit sie nicht anecken und selber eine Strafe be­kommen.

Andererseits ist alles eine Auslegungs­frage. Wenn ich träge bin, handle ich streng nach Buchstaben. Bin ich aber gewillt, etwas Schönes auf die Beine zu stellen, dann nutze ich den Hand­lungsspielraum aus und lasse mir eine gute Begründung einfallen.

Ich kenne das von den Biotürmen. Erstens bedarf es eines Menschen, der das Zepter in die Hand nimmt und al­les organisiert. Das kann nicht die Biotürme GmbH sein. Sie stellt ledig­lich das Gelände zur Verfügung oder vermietet es.

Mit der Vermietung habe ich meine Probleme: Ich fände es gut, wenn das Gelände kostenlos zur Verfügung ge­stellt werden würde. Das Geld kann an anderer Stelle besser eingesetzt werden.

Zweitens braucht es Ideen und drit­tens kommt die große Unbekannte in Lauchhammer dazu: Man muss die Lauchhammeraner aus ihren Häusern locken. Das ist jedes Mal ein Theater! Das Einzige, das hier funktionierte, waren »Die Hamster« – eine dreiköp­fige Volksmusikgruppe. Die ältere Ge­neration klatschte und trank Kaffee. Alles andere ist ein Krampf.

Als die Puhdys auftraten, hatten wir Glück. Das Wetter spielte mit und wir machten gute Werbung. Dadurch ka­men über viertausend Besucher. Da stimmte die Kasse. Damit glichen wir Defizite aus. Das Konzert fand aller­dings nicht an den Biotürmen statt, sondern im Schlosspark. Auch diese Anlage wird sonst wenig genutzt. Sie ist sehr groß. Dennoch eine einmalige Location.

In Lauchhammer gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Der großartige Theaterintendant Sewan Latchinian, der damals das Theater in Senften­berg leitete, hatte Ideen, die Türme zu bespielen.

Die Biotürme sind als Kulisse überall gelistet. Einmal schoss eine Foto­agentur eine ganze Woche lang Fotos. Das Magazin »Der Stern« produzierte eine Modestrecke. Alle bekannten Mo­demarken waren vertreten und wur­den von den spindeldürren Models präsentiert. Die Bergbaurentner wa­ren begeistert und wollten gar nicht mehr nach Hause, weil sie Hand anle­gen durften.

Ein paar Ideen wurden umgesetzt. Durchgesetzt hat sich jedoch nichts. Lauchhammer ist zu provinziell. Die Biotürme sind zu weit abgelegen. Und sie werden von den Einwohnern noch immer in Verbindung mit dem Ge­stank gebracht.

»Feiern mit Buntrock«

Marian Freigang: Als die Älteren noch bei Buntrock ak­tiv waren, organisierten sie jedes Jahr ein Straßenfest. Auch vor unserem Club gab es ein paar Stände. Aber weil sich immer weniger Leute fanden, die richtig mit anpackten, veranstalten wir solche Feste nur noch zu Jubiläen, zuletzt 2012.

Stefan Cepa: Nächstes Jahr wird Buntrock fünfund­zwanzig. Es ist noch nicht offiziell, aber wir haben uns schon einen Kopf gemacht, wie wir das Jubiläum zele­brieren. Der Schulhof würde sich als Location anbieten. Aber ich muss noch mit den Leuten quatschen.

Ich organisiere oft Veranstaltungen für Buntrock. Gemeinsam mit der Ar­che und dem Südclub zogen wir über die Skate­Initiative »540« einen Skate­-Jam auf. Jeden Sommer gibt es ein zweitägiges Event. Der Jam findet auf dem Skateplatz statt. Nebenbei gibt es noch kleinere Sachen, für die Bunt­rock die Location stellt. Wir machen Tresen­-Abende, Metal­-Abende, Halloween­-Partys, einen Hip-hop­-Tresen oder 60er­-Jahre­-Partys.

Bei der 60er­-Jahre­-Party packten zehn Mann mit an. Beim Skate­-Rock­-Jam sind wir dreißig, vierzig Helfer. Die Leute vom Südclub sind ein einge­ spieltes Team, die machen die Bar und den Grill. Ich hole mir Leute von der Arche, junge Skater zum Aufbau. Ge­meinsam mit Jörg von Buntrock pla­nen wir die Veranstaltung durch: Wir füllen die Formulare aus, stellen die Sicherheitsleute, fragen Bands an. – Das ist ein Akt.

Salonnière: Habt ihr schon mal überlegt, etwas mit dem Orchester der Bergarbeiter zu machen?

Stefan Cepa: Das hatten wir beim Zwanzigjährigen von Buntrock schon einmal. Auch beim Straßenfest sind die Blasmusi­ker immer dabei.

Unser fünfundzwanzigjähriges Jubi­läum planen wir bereits. Die Ver­anstaltung soll am Nachmittag begin­nen. Neben Kinderschminken wollen wir auch den älteren Herrschaften ein angenehmes Ambiente bieten. Da würde ein Auftritt des Orchesters pas­sen. Sie dazu wieder einzuladen, ist eine gute Idee!

Am Abend kommen unsere Bands, da geht es ein bisschen ruppiger zu.

Konrad Wilhelm: Dem Jugendorchester fehlen die Auf­trittsmöglichkeiten, deswegen will ich die Jugendlichen zum Bergmannstag holen. Die brauchen Spielpraxis.

Das Orchester der Bergarbeiter baute das Jugendorchester über die Jahre auf. Ich wusste bis vor kurzem nicht, wie gut die schon sind! Die zwölf Ju­gendlichen zwischen elf und vierzehn Jahren sind ausgerüstet mit Berg­mannsuniform, Schachthüten und al­lem Drum und Dran. Das kostete ein Schweinegeld. Auf der Grünen Woche in Berlin traten sie gemeinsam mit dem Blasorchester auf. Das waren fünfunddreißig Mann! Ich staune, wie weit sie es schon gebracht haben.

Henry Schüler: We are talking about the idea, that our different kinds of bands could play a concert together. We’d like to combine rock bands with the traditional brassorchestra. Next year we will celebrate the 25th birthday of our club. It would be exciting, if we could nd a way to play together.

»Plätzchen backen mit Flüchtlingen«

Henry Schüler: Mit den Flüchtlingen wird falsch um­gegangen. Das sind Menschen, die Hilfe brauchen. Man darf nie verges­sen, dass man selbst in solch eine Si­tuation geraten könnte.

In Zusammenarbeit mit Buntrock gründeten wir vom Südclub eine Initiativgruppe, die sich »Bunte Zora« nennt. Wir nehmen Sachspen­den an, organisieren Kinder-­ oder Willkommensfeste.

Nikol Schüler: In der Schulküche des WEQUA­-Hotels backten wir gemeinsam mit den Kin­dern Plätzchen. Es war ein Chaos! Wir waren voller Mehl, die ganze Bude war weiß. Wir hatten Spaß.

Dann malten wir mit den Kindern Bil­der. Wir schossen ein Gruppenfoto und klebten es auf die Bilder. Darun­ter schrieben wir, welches Kind was gemalt hatte und verteilten das Bild als Dankeschön an alle, die uns gehol­fen hatten.

Henry Schüler: Einmal trafen wir Flüchtlinge aus dem Heim am Strand. Wir nahmen sie mit und machten zusammen Musik. Die beiden, Steffen und Marina aus Kamerun, sangen. Sie legten voll los, hatten richtig Bock. Es entwickelte sich eine Freundschaft.

Durch ihre Abschiebung wurden wir auseinandergerissen…

Nikol Schüler: Nach so einem Erlebnis wird man vor­sichtig. Schon komisch.

Henry Schüler: So eine Erfahrung stumpft ab. Das ist schade. Wir haben noch Kontakt zu ihnen, aber es ist trist, nur übers In­ternet zu kommunizieren. Wir hatten eine richtige Freundschaft aufgebaut. Jetzt sind wir vorsichtiger, weil uns diese Trennung sehr mitnahm.

»Die Nachbarin Frau Renke und der Kartoffelsalat«

Nikol Schüler: Unsere gute Seele, die Nachbarin Frau Renke, dürfen wir nicht vergessen. Sie ist wichtig. Jahrelang schmierte sie für die Bands, die bei uns im Club Kon­zerte gaben, Brötchen und bereitete leckeren Kartoffelsalat zu. Am Mor­gen nach dem Konzert weckte sie die Musiker mit einer Tasse Kaffee.

Henry Schüler: Die Bands schlafen im Hotel oder zel­ten im Garten. Je nachdem, welche Ansprüche sie haben. Es gibt welche, die wollen früh duschen. Duschen ha­ben wir nicht, also müssen sie ins Hotel. Wem das wurscht ist, der kann schlafen, wo er umfällt.

Nikol Schüler: Als wir noch keinen Teppich hat­ten, wischte Frau Renke früh nach ei­nem Konzert oben im Saal wie eine Verrückte und schiss uns zusammen: »Bewegt euch. Wer saufen kann, kann auch arbeiten.«

Sie ist echt cool. Heute macht sie es leider nicht mehr, weil sie sich zu alt fühlt. Sie kommt gern mit ihrem Mann und ihrem Hund gucken, aber nach einem Bierchen hauen sie ab. Die Musik ist nicht ihr Ding.

»Zuhause Nummer Eins«

Langjähriges Clubmitglied: Zu Glanzzeiten sind da oben im Saal fünfhundert Leute rumgesprungen. Das gibt es nicht mehr. Wenn wir heute etwas Kleines veranstalten, kommen sechzig, siebzig Mann.

Wir sind seit Jahren eine große Fa­milie, jeder kennt jeden. Manchmal vergisst man den Jahrestag mit der Freundin, aber man weiß, wer wann Schicht hat. So läuft das hier. Ich rufe an: »Ich brauche schnell Hilfe«, da kommen fünf Mann. Also nur rum­ glucken und den Arsch zusaufen, das geht nicht.

Nikol Schüler: Musikalisch sind wir schon mehrere Jahre oben im schönen Saal. Irgend­wann kamen wir, damals noch »die Kleinen« aus der Roten Zora, dazu. Wir übernahmen immer mehr Verant­wortung. Lernten, alles zu organisie­ren, die Genehmigungen einzuholen, die Bühne aufzubauen – das ist heute noch lustig. Wie auch das Aufräumen am nächsten Tag, wenn alle nur noch kriechen können.

Wir sind jeden Tag im Club. Es ist wie die zweite Familie. Wenn wir uns ei­nen Tag nicht sehen, ist das komisch.

Henry Schüler: Jeder Weg führt uns hierher. Auch wenn wir um drei von der Party kom­men, treffen wir uns im Club. Selbst wenn keiner die Augen offen halten kann. Es ist unser Zuhause Nummer eins. Wo wir schlafen, das ist Zuhause Nummer zwei.

Nikol Schüler: Der harte Kern, das sind sieben Mann, die kommen täglich. Der Rest kommt, sobald er Zeit hat. Wir sitzen zusam­men, hören Musik und quatschen Blödsinn. Oder wir hecken was aus.

Henry Schüler: The club is like a family. Some members come here every day, we see each other everyday. This feels like our family.

[Übersetzung ins Persische]

»Musike, Musike«

Henry Schüler: Wir haben drüben im Süd­-Club je­manden, der hört Discomucke, total krachig, ekelhaft kreischig. Wir hat­ten hier schon Ska­-Bands und Hard­core­-Bands. Im Sommer wollen wir draußen so’n Akustik­-Ding machen, was Entspanntes, auch mit politischen Texten…

Nikol Schüler: Aber bei uns gibt’s nicht nur Punk­musik. Jeder kann hören, was er will, nur Nazi­Musik gibt’s nicht.

Kerstin Gogolek: Ich finde es wichtig, dass hier viele Musikrichtungen möglich sind.

Henry Schüler: It’s possible to make or to listen to a variety of music in Lauchhammer. Rock, Hip-Hop or even Classic.

»Das Verhältnis zu den Nazis«

Henry Schüler: Von den Nazis traut sich keiner her, die sind nicht lebensmüde. Es gibt zwei, drei kleine Suffköpfe, die ab und zu aus ihrem Haus kommen und ’nen Sticker an eine Laterne kleben. Aber das ist nicht der Rede wert, das ist keine ernstzunehmende Bedrohung. Unterschätzen dürfen wir sie trotz­dem nicht.

Konrad Wilhelm: Südlich ist es schlimmer.

Henry Schüler: Richtung braunes Dreieck, Gröden, generell auf den Dörfern… Wir wissen von denen, die wissen von uns.

Konrad Wilhelm: Es ist in den letzten Jahren ruhiger ge­worden.

Nikol Schüler: Die Nazis verlassen Lauchhammer. Gott sei Dank.

Kerstin Gogolek: Dass es inzwischen in Lauchhammer weniger Nazis gibt, freut mich.

Henry Schüler: Aber Pegida-Idioten haben wir hier. Und unseren NPD­-Kandidaten: Schreibt bei Facebook, er organisiere soziale Projekte in seiner Wohnung. Sitzt aber jeden Abend mit einem Kas­ten Bier vor der Bude. Komischer Typ.

Henry Schüler: In the past we had trouble with the Nationalists, the Nazis, but today it has become better. They leave Lauchhammer, they have nothing to do here. They have to go!

[Übersetzung ins Persische]

»Winter und Sommer«

Kerstin Gogolek: Von Lauchhammer Mitte oder Ost nach Süd kommt man schlecht. Wenn die Flüchtlinge zu euch kommen wol­len, um Musik zu machen oder um auf Konzerte zu gehen, haben sie ein Problem. Es gibt nur einen Bus, der ei­nen Haufen Geld kostet.

Henry Schüler: Und um acht Uhr fährt der letzte.

Nikol Schüler: Da bleibt nur das Fahrrad.

Henry Schüler: Deshalb sieht man hier im Buntrock im Winter weniger Leute.

Nikol Schüler: Wenn das Grillen und Baden be­ginnt, kommen die Leute. Wir baden im Kühlteich vom Kohlekraftwerk, obwohl der nie richtig fertig gestellt wurde.

Konrad Wilhelm: Die Kohlegrube, die seit neunzig Jah­ren außer Betrieb ist, wurde auf einer Seite saniert, auf der anderen nicht. Da stand einmal ein LKW senkrecht. Der fuhr ans Ufer und löste eine Rut­schung aus.

Die Verhältnisse haben sich verändert. Als das Grundwasser flächendeckend abgesenkt war, war das Gelände si­cher. Nach Einstellung der Braun­kohleförderung kam das Grundwas­ser zurück und stieg in geschüttete Schichten. Dadurch änderte sich der Porendruck. Jetzt kommt es zu Unglücken, wie dem in Neuwiese, wo es fünf LKWs erwischte. Die stecken heut noch in der Erde. Das waren keine Rutschungen, das waren Grundbrü­che. Die geotechnische Grundlagen­forschung beschäftigt sich damit. In Zukunft müssen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, wie Rütteldruckverdichtungen, verdeckte Dämme und vieles mehr. Das muss hier alles noch passieren. Begonnen haben sie aber schon…

Nikol Schüler: Da, wo die schönen Bäume gefällt wurden. Das sieht furchtbar aus!

Konrad Wilhelm: Dort müssen sie verdichten. Die Seite ist geschüttet. Rund um das Kraftwerksgelände waren früher Kohlegruben.

Nikol Schüler: Wenn wir im Kühlteich baden gehen und einer spielt Musik, dann wird laut und schief gesungen.

Henry Schüler: Bis die Sonne aufgeht.

Salonnière: Schönes Jugendleben!

Kerstin Gogolek: Da behaupte noch einer, in Lauch­hammer sei nichts los!

Ein Gedanke zu „In Lauchhammer spielt die Musik – ein Erzählsalon bei Buntrock

  1. Sehr interessanter Artikel. Hoffe Sie veröffentlichen in regelmäßigen Abständen solche Artikel dann haben sie eine Stammleserin gewonnen.

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