Alteingesessene, Zugezogene und Touristen – Wie wollen wir miteinander leben?

2. Platz im Wettbewerb „Die besten Lausitz-Geschichten“ (Kollektivgeschichte)

Klaus Sauer: Für mich stand schon immer fest, dass ich nach Geierswalde zurückkehren würde. Hier wuchs ich in den Siebziger- und Achtzigerjahren auf und spielte mit meinen Freunden auf der Straße. Als ich in den frühen Neunzigern zum Studium nach Güstrow und Dresden ging, wusste ich, dass ich eines Tages zurückkommen würde. In meinem Heimatort wollte ich leben und alt werden.

Bei meiner Brautschau spielte dieser Gedanke eine wichtige Rolle. Lernte ich ein Mädchen kennen, das mir gefiel, brachte ich sie nach Geierswalde. Ich zeigte ihr das Dorf und fragte: »Kannst du hier leben?« Sagte sie Nein, war die Sache bald erledigt!

Inzwischen hat sich viel verändert. Das Dorf meiner Kindheit wurde lebendiger. Wenn meine Frau und ich abends noch etwas unternehmen wollen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten: »Worauf hast du heute Lust? Gehen wir zu Ulf oder in die Kneipe? Spazieren wir zum Leuchtturm oder runter zum Renner? Wollen wir uns den Sonnenuntergang am See anschauen?« Das alles ist im Dorf möglich. Ist das nicht genial? Also ich finde es klasse!

Rosemarie Bredemann: Mein Mann Dietmar und ich zogen vor über zehn Jahren nach Geierswalde, weil uns das Dörfliche hier gefiel.

Von Beginn an wusste ich: Wenn wir im Dorf heimisch werden wollen, müssen wir uns unters Volk mischen. Andernfalls bleiben wir ewig die Zugezogenen. So beschlossen wir, uns in den Vereinen zu engagieren. Ich ging in den Dorfclub,mein Mann schloss sich dem Wassersportverein an. Gemeinsam traten wir in den Förderverein »Wasserwelt Geierswalde« ein. Und dennoch: Obwohl wir viele Bekannte haben, bei denen wir uns wohlfühlen, bleiben wir die Fremden im Ort.

Karl-Heinz Radochla: Die Bredemanns gehörten zu den wenigen Neu-Geierswaldern, die zu mir in die Ortsvorsteher-Sprechstunde kamen. Sie fragten, welche Vereine es im Dorf gab und an wen sie sich wenden könnten, um Mitglied zu werden. Sie suchten den direkten Kontakt. Aber schon damals musste ich ihnen sagen: »Passen Sie mal auf. Ich lebe seit über fünfzig Jahren hier. Und für manchen bin ich noch immer kein Geierswalder!«

Klaus Floating: Anders als die Bredemanns schließen sich viele Zugezogene aus dem Dorfleben aus. Wir nahmen sie herzlich auf. Anfänglich beteiligten sie sich, dann weniger und schließlich blieben sie fort. Sie wandten sich ab von uns Alteingesessenen. Das verstehe ich nicht.

Rosemarie Bredemann: Seit zehn Jahren beobachten wir, wie die dörfliche Atmosphäre, die wir an Geierswalde so schätzen, nach und nach zerstört wird. Das liegt nicht nur an den Zugezogenen, sondern vor allem am wachsenden Tourismus. Früher konnte ich zum Strand gehen und die Ruhe dort genießen. Heute ist das unmöglich. Besonders im Sommer gibt es kaum eine ruhige Stelle. Das ist der Preis, den wir für unseren schönen See zahlen.

Dietmar Bredemann: Wir richteten uns an unserem Haus einen Garten ein. Den können wir kaum noch nutzen. Wenn die Ausflügler kommen, wird es laut. Besonders die knallenden Autotüren ertrage ich nicht mehr. Nachdem ich fast vierzig Jahre lang im Schichtdienst arbeitete, wünsche ich mir Ruhe und Entspannung. Deswegen kaufte ich uns ein Boot. Seither verbringen wir unsere freien Tage auf dem Wasser und genießen die Stille dort.

Auch die schwimmenden Häuser, die ohne Frage ein touristischer Anziehungspunkt sind, stellen sich als Problem dar. Ihr Standort wurde schlichtweg schlecht geplant. Die Feriengäste, die dort übernachten, feiern lautstark. Sie genießen ihre freien Tage, das kann ich ihnen nicht verübeln. Aber auch die Häuser selbst machen Lärm. Die Wellen schlagen beständig an die Wände, das Quietschen und Knarren dringt bis zu den Wohnhäusern.

Die touristische Entwicklung des Sees spaltet das Dorf. Die einen befürworten sie, die anderen sind dagegen.

Klaus Floating: Die Zugezogenen beschweren sich am meisten über den Lärm und lehnen den Tourismus ab. Doch alle, die in den letzten Jahren hierher zogen, wollten an den See! Sie suchten sich ihre Filetstückchen zum Wohnen aus. Dabei wussten sie, dass unser Dorf Touristen anziehen würde, dass Motorboote fahren und die Menschen im See baden würden.

Manfred Lieh: Viele von ihnen behaupten heute: »Niemand hat mir gesagt, dass Geierswalde ein Touristenort wird!« Aber seit 1975 hätte es jeder wissen können. Schon als der Tagebau noch arbeitete, stand fest, was hier entstehen sollte. Wir Alteingesessenen konnten uns nicht aussuchen, was in unserer Heimat geschah. Wir lebten mit den Einschnitten, die der Bergbau brachte. Wir freuen uns, dass sich die Grube vor unserer Haustür zu einem schönen See gewandelt hat.

Klaus Sauer: Wenn sich die Urlauber an Regeln halten würden, wäre das Zusammenleben mit ihnen für viele Anwohner leichter. Aber selbst die Gefahrenschilder am Ost- und Westufer des Sees werden ignoriert. Oft sehen wir, wie ein Unvernünftiger an einem gesperrten Strandabschnitt sein Auto parkt und ein Surfbrett rausholt. Das geht nicht!

Dietmar Bredemann: Um Frieden zwischen den Bewohnern und den Touristen zu schaffen, braucht der Ort ein funktionierendes Verkehrskonzept. An der Scadoer Straße beispielsweise steht ein großes Schild: »Einfahrverbot!« Aber daran hält sich niemand.

Besonders auf dem Weg zu den schwimmenden Häusern herrscht Chaos. Kein Autofahrer befolgt die Verkehrsschilder. Der klappbare Poller, der als Sperre auf dem Weg stand, wurde regelmäßig zerstört. Hier gehört endlich eine Schranke her, am besten ein elektrischer Pfeiler!

Als ich mich beim Ordnungsamt über die Zustände beschwerte, sagte der Beamte zu mir: »Dann fotografieren Sie die Autos und melden sie uns.« Dafür müsste ich Tag und Nacht an der Straße stehen. Und aufpassen, dass ich von den Autofahrern nicht eins auf die Mütze bekomme!

Karl-Heinz Radochla: Zudem fehlt in Geierswalde ein Wegeleitsystem. Die Touristen irren im Dorf umher. Im vorigen Jahr bat ich den Ortschaftsrat, einen Vorschlag zu machen. Da erhielt ich die Antwort: »Um ein Wegeleitsystem sollen sich Investoren oder die Gemeinde kümmern. Das geht uns nichts an.«

Also sammelte der Förderverein Ideen. Wir übergaben sie dem Ortschaftsrat und fuhren mit ihm die Straßen ab. Wir besichtigten die Standorte und überreichten den Ratsmitgliedern unsere Vorschläge. Jetzt muss der Ortsvorsteher nachhaken, damit die Pläne endlich umgesetzt werden.

Rosemarie Bredemann: Wenn er einmal dabei ist, könnte er auch dafür sorgen, dass sich die Parkplatzsituation verbessert. Die Ausflügler sollen endlich an ausgewiesenen Plätzen parken und nicht da, wo es ihnen gefällt. Viele denken, hier herrscht Wild West und jeder könne machen, was er will.

Klaus Floating: Ja, es ist ein wildes Parken, denn die Gemeinde ist unfähig, vernünftige Parkplätze anzulegen. Das Argument lautet, es gäbe kein Geld. Doch das Geld liegt auf der Straße! Die Autos parken auf den Sand- und Wiesenflächen vor dem See. Würde die Gemeinde dort eine einfache Absperrung errichten und einen Platzwart einstellen, könnte sie eine Menge Parkgebühren einnehmen. Damit könnte sie Poller bezahlen und bessere Parkplätze bauen. Das ist verschenktes Geld!

Ingrid Radochla: Eine Zeit lang kassierte der Förderverein Parkplatzgebühren. Was waren das für Einnahmen! Das Geld wurde genutzt, um Bänke zu bauen. Davon sollte es noch mehr geben – zum Ausruhen an der Strandpromenade. Auch eine kleine Überdachung war gewünscht, damit bei schlechtem Wetter am Strand geplante Grillabende und Wettkämpfe der Feuerwehr nicht ausfallen. Aber unsere Vorschläge trafen in der Großgemeinde Elsterheide lange auf taube Ohren.

Dietmar Bredemann: Und das, obwohl sich hier so viel entwickelt – mehr als im Rest von Elsterheide. Aber die Gemeinde interessiert sich nicht für uns. Als kleines Dorf werden wir regelmäßig überstimmt. Ist das Demokratie?

Karl-Heinz Radochla: Die Belange unseres Dorfes werden kaum berücksichtigt. Beim örtlichen Entwicklungskonzept »Freizeit- und Wasserwelt Geierswalde« herrscht seit 2000 Stillstand. Als wir das Konzept erarbeiteten, bezogen wir alle Aspekte der Dorfentwicklung ein: Straßenbau und Verkehr, Parkplätze und Bauland, und natürlich den Tourismus. Doch der Bürgermeister unserer Gemeinde Elsterheide, Dietmar Koark, lehnt es ab, das Entwicklungskonzept fortzuschreiben. Als Vorsitzender des Fördervereins bat ich ihn in einem offenen Brief, das örtliche Entwicklungskonzept als Gesamtverkehrskonzept zu berücksichtigen und insbesondere die dörfliche Entwicklung und Verkehrsbelange einzubeziehen. Bis heute erhielt ich keine Antwort.

Klaus Floating: Ich denke, vieles könnte sich bewegen, wenn unser Ortschaftsrat aktiver wäre. Ich habe den Eindruck, die Mitglieder schlafen förmlich. Es braucht jemanden, der den Motor anschmeißt. Er muss die Geierswalder auffordern, sich aktiv zu beteiligen, er muss unsere Vorschläge hören und ernst nehmen. Dann sind wir schnell zu motivieren.

Dietmar Bredemann: In den letzten Jahren brachen viele Aktivitäten und Veranstaltungen in Geierswalde weg. Früher fanden so viele Feierlichkeiten statt, bestimmt sechs im Jahr. Das schlief alles ein. Der Ortschaftsrat muss aufwachen!

Klaus Sauer: Vieles ließe sich mit ein wenig Zuwendung lösen. Ich wünsche mir, dass unsere Kinder die Chance bekommen, hier zu bleiben. Damit sie das auch wollen, sollte es hier schön und attraktiv sein. Meine Kinder sind heute elf und dreizehn Jahre alt. Sie lieben ihre Eltern und ihr Zuhause und denken nicht daran fortzugehen. Irgendwann wird sich das vielleicht ändern. Sie werden sich erinnern, wie sie in Geierswalde aufgewachsen sind und sich fragen, ob sie das für ihre Kinder wollen!

Bleibt der Ort in seiner Entwicklung stehen, wenden sie sich vielleicht von ihrer Heimat ab. Das möchte ich nicht. Ich hoffe, sie sagen eines Tages – so wie ich – dass sie in Geierswalde leben und alt werden wollen.